Ulrich und Roman

/ Kurt Bracharz

Ulrich Schulz ist am 4. Dezember vom Landgericht München zu sechs Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Schulz waren 314 Fälle von teilweise gewaltsamem Missbrauch von sechs Kindern – das jüngste sieben Jahre alt – vorgeworfen worden, was die Staatsanwaltschaft als ‘die Spitze eines Eisbergs’ bezeichnete. Schulz gab nach anfänglichem Leugnen 77-fachen Missbrauch an vier Knaben zu; den an Mädchen bestritt er. Die Verteidigung argumentierte u. a., Schulz habe seit 13 Jahren keine Straftat mehr begangen.

Roman Polanski ist etwa zur selben Zeit aus dem Gefängnis in sein Chalet in Gstaad übersiedelt, nachdem eine Kaution in Millionenhöhe hinterlegt worden war. Im Chalet erwarteten ihn seine Frau und seine beiden Kinder. Polanski hat vor über 30 Jahren in Hollywood eine 13-jährige, die von ihrer Mutter zu Modefotos in Jack Nicholsons Villa gebracht und dort mit Polanski allein gelassen worden war, mit Alkohol und einer Droge (die er auch selbst einnahm) plus seiner Erwachsenen-Autorität gefügig gemacht und das Mädchen, das offenbar keine Jungfrau mehr war, vaginal und anal penetriert. Auch ohne physische Gewalt gilt der Verkehr mit Minderjährigen in den USA als Vergewaltigung, und Polanski wurde entsprechend angeklagt. Er floh nach Europa, als ihm klar wurde, dass der Richter einen zuvor ausgemachten Deal nicht einhalten und ihn möglicherweise Jahrzehnte lang einsperren würde.

Was die beiden Fälle miteinander zu tun haben? Nun, Ulrich Schulz ist unter dem Pseudonym Oliver Shanti als Musiker und Produzent von CDs mit Meditationsmusik bekannt geworden. Auch wenn es sich dabei vorwiegend um Kitsch handelt, ist er wie Polanski ein Künstler. Warum ist sein erheblich krasserer Kriminalfall in der Presse bei weitem nicht so breit getreten worden wie der von Polanski, zu dem man öfters lesen konnte, dass kriminell gewordene Künstler angeblich seit der Renaissance privilegiert seien? Weil sich bei Polanski immer beiläufig der Hinweis einflechten ließ, dass er Jude ist?