Das große Spiel

/ Kurt Bracharz

In den 1970er Jahren kursierte eine Urban Legend, dass in den USA ein Spieler, der an bestimmten Flippern die scheinbar mögliche Höchstpunkteanzahl überschritt, eine Aufforderung der Luftwaffe auf den Monitor bekäme, sich wegen seiner überragenden Reaktionsfähigkeit zur realen Pilotenausbildung zu melden. Der Schriftsteller Rudy von Rucker machte daraus eine Short Story, der Science-Fiction-Autor Orson Scott Card veröffentlichte 1985 den Roman ‘Ender’s Game’, dessen deutsche Übersetzung unter dem Titel ‘Das große Spiel’ erschien.

Darin ist einer der Handlungsstränge, dass Jugendliche an einer Militärakademie an Computern simulierte Kampfspiele gegen die Raumflotte von Aliens üben. Der elfjährige Hochbegabte Ender soll bei seiner Abschlussprüfung die im Verhältnis 1:1000 überlegene Flotte des Gegners bei dessen Heimatplaneten angreifen, tut das auch und vernichtet durch einen Trick (er greift nicht die Flotte an, sondern zerstört den Planeten) den Gegner. Erst dann erfährt Ender (und mit ihm der Leser), dass es keine Simulation mehr, sondern bereits die echte entscheidende Raumschlacht war, die der Junge natürlich niemals zu kommandieren gewagt hätte.

Der SF-Klassiker nahm also die Kriegsführung per Konsole vorweg, bei der der Gegner nur als elektronisches Bild sichtbar wird (wie heute bei den Drohnen). Das Buch gehört angeblich zum empfohlenen Lesestoff für Unteroffiziere und Offiziersanwärter des U S. Marine Corps.

Nun melden die Zeitungen, dass sieben Navy Seals wegen Weitergabe von geheimen Informationen bestraft worden sind, und zwar mit einer Rüge und Gehaltskürzung. Aus dem bescheidenen Strafmaß kann man schon erraten, dass sie die Geheimnisse nicht an die Russen, Chinesen oder Iraner verkauft haben, sondern an die Computerspielehersteller Electonic Arts, die damit das Videospiel ‘Medal of Honor: Warfighter’ aufmotzten. In diesem Zusammenhang ist publik geworden, dass es seit Jahren eine Zusammenarbeit des U.S.Militärs mit den Herstellern von elektronischen Kriegsspielen gibt und zum Beispiel ‘Call of Duty’ von aktiven Militärs mitgestaltet wurde. Das Pentagon soll Originalgeräusche von Hubschrauberlandungen und Schüssen zur Verfügung gestellt haben. Außerdem produziert das Militär selbst eine Serie namens ‘America’s Army’.

Dass Hollywood Propagandafilme für die Armee dreht, war seit ‘Top Gun’ jedem klar, der sich auch bei dummen Streifen etwas dachte. Dass es den berüchtigten militärisch-industriellen Komplex aber auch bei Computerspielen gibt, überrascht doch ein bisschen. Wo sind eigentlich die europäischen ‘Kauft-kein-Kriegsspielzeug’-Aktivisten geblieben, die es vor wenigen Jahren noch so überreichlich gab?