Palästinenser und Polonium

/ Kurt Bracharz

Zu jenen Erinnerungssplittern, bei denen man sich fragt, warum das Gedächtnis ausgerechnet ein so belangloses Detail dauerhaft abgespeichert hat, gehört bei mir das Stichwort ‘Polonium’ von der Lexikonseite der Zeitschrift ‘hobby’ (der deutschen Parallele zu ‘Popular Mechanics’) in den frühen 1960er Jahren. Damals hieß es dort, dass das radioaktive Element Polonium verdächtigt werde, der krebsauslösende Stoff im Zigarettenrauch zu sein.

Das fiel mir natürlich wieder ein, als jetzt die Palästinenser einmal mehr herumposaunten, Arafat sei vom Mossad mittels Polonium ermordet worden, wobei der israelische Geheimdienst es ihm irgendwie ‘eingeflößt’ habe, also in Essen oder Getränken versteckt. Die ursprünglich von der Witwe Arafats in Gang gesetzten Untersuchungen zur Todesursache (aber erst 2012, nach dem Tod ihres Gatten 2004 hatte sie sowohl die Veröffentlichung der Krankenhausakten als auch eine Autopsie verweigert) von schweizerischen und russischen Wissenschaftlerteans hatten zwar radioaktive Substanzen gefunden (die Schweizer Polonium, die Russen anscheinend anderes), aber daraus keineswegs den Schluss gezogen, Arafat sei mit Sicherheit an einer Polonium-Vergiftung gestorben.

Bei den Russen könnte es eine Rolle spielen, dass die bekannteste Poloniumvergiftung, nämlich die des russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko 2006 in London, sicher nicht vom daran nicht interessierten Mossad, sondern wohl von Handlangern des sehr interessierten russischen Auslandsgeheimdienstes SWR durchgeführt wurde. Da mochten die Russen vielleicht im Falle Arafat kein Polonium finden – Al Dschasira behauptet sogar, die russische Regierung hätte diesbezüglich unmittelbaren Druck ausgeübt – , obwohl sie gewiss nicht die Täter waren. Aber vielleicht haben sie das Polonium geliefert (wenn es tatsächlich die Todesursache war und nicht doch z. B. die HIV-Infektion Arafats, die erklären würde, warum sich die Witwe damals so bedeckt hielt). Natürlich nicht den Israelis, sondern Arafats palästinensischen Konkurrenten.

Nicht, dass der Mossad niemals jemanden vergiftet hätte (obwohl nahezu alle dem israelischen Auslandsgeheimdienst zugeschriebenen Morde mittels Schusswaffen oder Sprengstoff ausgeführt wurden): Der palästinensische Kinderarzt und Terroristenchef Wadi Haddad starb 1978 an einer Vergiftung, vermutlich durch Dicumarol, ein Rattengift, das nur einer seiner engsten Vertrauten in die von Haddad so geschätzten belgischen Pralinen praktiziert haben konnte. Der Mossad bekennt sich weder zu seinen Exekutionen, noch streitet er sie ab – aber die Vergiftung des Wadi Haddad dürfte tatsächlich auf ihn zurückzuführen sein.

Bei Arafat, dem Friedensnobelpreisträger, der unter anderem Millionen von Hilfsgeldern für die Palästinenser auf seine eigenen Konten hatte verschwinden lassen, gab es aber sehr viel mehr für seine mögliche Ermordung in Frage kommende Verdächtige im eigenen Lager, während die Israelis seinerzeit kein politisches Interesse an seinem Tod haben konnten, ganz im Gegenteil. Ihnen war zu diesem Zeitpunkt Arafat als Verhandlungspartner weitaus lieber als alles, was nach ihm kommen konnte und auch tatsächlich gekommen ist.