Muss man KI fürchten?

/ Kurt Bracharz

„Ich kann mir eine Zeit vorstellen, in der wir für Roboter das sind, was heute Hunde für Menschen sind. Und ich bin auf der Seite der Maschinen.“ Diese hündische Aussage traf 1949 der Mathematiker Claude Shannon in seinem bahnbrechenden Werk „Eine mathematische Theorie der Kommunikation“, das kein auf der Straße verteiltes Pamphlet eines Spinners war, sondern die Grundlagen für die Entwicklung der Maschinensprachen enthielt.

Es gibt vermutlich schon heute Menschen, deren Verhältnis gegenüber Apple oder Google oder den sozialen Medien dem von Hund und Herrn entspricht, was sie wohl selbst nicht so sehen. Sie dürften aber noch eine Minderheit sein. Es gibt andererseits ziemlich viele, die die Künstliche Intelligenz (im Folgenden KI) maßlos überschätzen, vor allem, weil sie eigentlich nicht so recht wissen, was das ist. Sie glauben und äußern auch öffentlich, dass die Intelligenz der Maschinen die des Menschen bald übertreffen wird bzw. schon übertroffen hat. Anders als Shannon glauben allerdings die meisten, dass das nichts Gutes bringen wird.

Das populärste Beispiel für KI waren bisher die Schachcomputer, seit 2016 ist es der Go-Computer. In diesem Jahr trat die KI AlphaGo der Google-Tochter Deep Mind gegen den damaligen Go-Weltmeister an und schlug ihn 4:1. Das Entwicklerteam hatte AlphaGo mit Daten von über 30 Millionen Spielzügen programmiert (im Go wird eigentlich gesetzt, nicht gezogen), die aus Partien von Go-Meistern stammten. Ein solcher Go-Meister war auch dafür engagiert, dem Software-Team die Spielzüge des Computers zu erklären. Im Oktober 2017 trat eine KI namens AlphaGo Zero gegen AlphaGo an und schlug den guten alten (1 Jahr) AlphaGo 100:0. Der Unterschied zwischen AlphaGo und AlphaGo Zero war, dass die neue Version Go ausschließlich im Spiel gegen sich selbst erlernt hatte – also ohne dass man irgendwelche Züge von menschlichen Partien vorgegeben hätte. Wenn man so will, hatte also Maschinenwissen Menschenwissen 100:0 geschlagen. Experten sprachen von Strategien, die sie noch nie gesehen hatten. Schach- und Go-Computer sind mittlerweile also den besten menschlichen Spielern uneinholbar weit überlegen.

Heißt das, dass bald „die Maschinen“ intelligenter sein werden als die Menschen? Man kann das so sehen, wenn man „Intelligenz“ entsprechend definiert und die (ungeheure) Rechenleistung einer Maschine – denn auch die KI läuft nur auf Rechnern – mit den komplexen Leistungen des menschlichen Gehirns vergleichen will. Die KI kann Schach spielen, aber einen Roman wie „Anna Karenina“ oder „Die Enden der Parabel“ wird sie nie schreiben, auch wenn es Stimmen gibt, die ihr das ohne weiteres zutrauen. Man darf vermuten, dass diese Stimmen von Leuten kommen, die weder von Kunst noch von KI etwas verstehen.

Ein deutscher Sachbuchautor, dessen Bücher, Blogs und Vorträge über Internet-Themen wegen ihrer Kompetenz und Verständlichkeit (heute eine seltene Paarung) empfehlenswert sind, ist Sascha Lobo. In seinem neuen Buch „Realitätsschock. Zehn Lehren aus der Gegenwart“ (Kiepenheuer & Witsch) definiert er KI so: „Für den Hausgebrauch reicht eine simple Definition von Künstlicher Intelligenz. KI lässt sich im Alltag synonym zu ,lernende Mustererkennung’ verwenden. Einerseits erkennt KI also Muster in großen Datensätzen aller Art, die dem Menschen oft verborgen bleiben. Andererseits wird KI dabei über die Zeit besser.“ Sicher, auch die menschliche Intelligenz ist als lernende Musterkennung definierbar. Wir haben aber dazu zum Beispiel noch die frei lenkbare Aufmerksamkeit, die in den letzten Jahren zur „Achtsamkeit“ promoviert wurde. Gesichtererkennung durch Software ist auch eine Art von Aufmerksamkeit, aber sie ist auf eine Sache gerichtet, und die Software kann nichts, als die identifizierten Gesichter den interessierten Behörden melden. Da haben wir mit unserem Gehirn zumindest jetzt doch noch ein paar Möglichkeiten mehr.

Zum allgemein verbreiteten „Verständnis“ der KI möchte ich noch einmal Lobo zitieren: „Anfang 2019 untersucht eine Londoner Investmentfirma 2830 Startups in Europa, die behaupten, dass KI Teil ihrer Geschäftsmodelle sei. Die Firma findet heraus, dass 40 Prozent davon nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun haben. Es hört sich aber im Moment noch nach Erfolg und Zukunft an. Davon waren offensichtlich auch die Investoren zu überzeugen. Start-ups, die angeben, mit KI zu arbeiten, bekamen 2018 im Schnitt 15 Prozent größere Investitionen von Risikokapitalgebern.“

Äh, übrigens, diesen Text habe ich mittels KI geschrieben. Hört ihr mich, Risikokapitalgeber?