Stabilität? Welche Stabilität?

/ Kurt Bracharz

„Der Kanzler mahnt Stabilität ein“, titelten die VN am Samstag vor dem EU-Wahlsonntag. Stabilität und Kurz, das ist lustig. Kurz hat Reinhold Mitterlehner verdrängt, sich Carte blanche bei der Auswahl seiner Türkisen geben lassen und mit der FPÖ koaliert, zu deren Charakterbeurteilung man kein Ibiza-Video brauchte. Dann hat er die längste Zeit schweigend den endlosen „Einzelfällen“ und Skandalen der Völkischen zugesehen und ist wegen des Videos, das lediglich Strache und Gudenus ins Abseits befördern hätte müssen, auf den Innenminister Kickl losgegangen, der ihm bis dahin mit seinen absurdesten Aktionen (BVT, Berittene Polizei, 1,50 Euro-Lohn) durchaus konveniert hatte. Die absehbaren Folgen waren der Rückzug auch der anderen FPÖ-Minister, die Expertenregierung und der drohende Misstrauensantrag am Montag, mit dessen Folgen für ihn Kurz so vielleicht doch nicht gerechnet hatte. Wenn das die beschworene Stabilität ist, dann braucht Österreich sie sicher nicht.

Andererseits wäre es nicht schlecht, wenn Kurz die Expertenregierung bis zu den Neuwahlen „führen“ würde, denn dann kann er nicht die Märtyrerkarte spielen, die er in die Hand bekommt, wenn die Rachephantasien in FPÖ und SPÖ greifen. Das werden sie aber wahrscheinlich tun. Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation wäre es, wenn am Montag in allen Parteien der Clubzwang aufgehoben und geheim abgestimmt würde. Der Kadavergehorsam der Hinterbänkler ist ohnehin zu nichts gut, es gibt in allen Parteien vernünftige Leute (auch wenn man nicht immer diesen Eindruck hat), aber wenn namentlich abgestimmt werden muss, dann ist das Ergebnis vorhersehbar. Aber ganz offiziell aufgehobener Clubzwang und geheime Wahl, das Fazit könnte niemand vorhersagen. Darum wird es auch sicher nicht so kommen.

Wenn Kurz gehen muss, könnte der Bundespräsident theoretisch jede wahlberechtigte Person zur Regierungsbildung auffordern. In der Praxis wäre die Rückkehr von Reinhold Mitterlehner ein Zeichen von Haltung. Er würde es wahrscheinlich nicht machen wollen, obwohl es eine sehr süffisante Wendung wäre, aber es käme als schöner Vergleich eines gestandenen Politikers mit einer karrieristischen Hohlfigur heraus.

Übrigens müsste auch H. C. Strache die Flinte nicht völlig ins Korn werfen. Für Trump wäre das Ibiza-Video eine echte Empfehlung für eine Aufnahme in seine Crew, solche Leute sucht er doch. Vielleicht könnte Steve Bannon Strache mitnehmen, wenn er nach den Europawahlen endlich wieder verschwindet, und ihm einen Job bei Breitbart oder in der AltRight verschaffen. Allerdings müsste Strache sein Englisch aufpolieren, sonst halten sie ihn für einen Tschetschenen.