Pio addio!

/ Kurt Bracharz

Der Fall Padre Pio ist mehr als ein Kuriosum, nämlich ein Politikum. Denn der 1910 zum Priester geweihte Kapuzinerpater Pio vulgo Francesco Forgione ist der mit Abstand beliebteste Heilige Italiens, der Historiker, der den Fall jetzt wieder aufgerollt hat, ist Jude, und Pater Pio war seinerzeit vom Vatikan 13 Jahre lang verboten worden, die Messe zu lesen, weil ihn die Päpste Benedikt XV. und Pius XI. als Psychopathen und Betrüger einschätzen.

Selig und heilig gesprochen hat ihn 1999 bzw. 2002 Johannes Paul II., der während seines Pontifikats 1338 Selig- und 482 Heiligsprechungen vorgenommen hat, mehr als sämtliche Päpste vor ihm zusammengenommen. Auf dem Peterplatz versammelte sich zur Heiligsprechung nahezu eine Million Menschen. Im apulischen San Giovanni Rotondo baute Renzo Piano 2004 eine Wallfahrtskirche, und dort rollt jetzt der Rubel wie früher nur in Lourdes oder Fatima.

Pater Pio soll in der Nacht vom 5. zum 6. August 1918, aus Penetrationsalpträumen erwacht, eine Seitenwunde an sich entdeckt haben. Am 20. September blutete er auch an den Händen und Füßen und galt seither als stigmatisiert, obwohl ihn der Arzt, Priester und Gutachter für den Vatikan Agostino Gemelli als Hysteriker betrachtete, der sich die Wunden selbst zufügte und mit Jodtinktur offen hielt, und sich andere vatikanische Gutachter diesem Urteil anschlossen.

Das Volk sah es anders und Padre Pio tat Jahrzehnte lang Wunder von Tumorheilungen über die Prophezeiung, dass der polnische Student Woityla, der ihn 1947 besuchte, einmal Papst werden würde, bis zu einer Totenerweckung.

Und jetzt kommt da ein Turiner Historiker namens Sergio Luzzatto und behauptet, Pio hätte seinerzeit beim lokalen Apotheker heimlich große Mengen Karbolsäure gekauft, um seine ‘Stigmata’ durch Verätzung zu ‘pflegen’. Berlusconis ‘Il Giornale’ erkannte sofort die ‘jüdisch-freimaurerische Verschwörung’. Zu der muss auch Johannes XXIII. gehört haben, denn der schrieb 1960 von Pios ‘teuflisch geplanten Desaster der Seelen’. Amen!