Umwertung einiger Werte

/ Kurt Bracharz

Mit der Umwertung aller Werte wird es noch etwas dauern (außer an den Börsen). Aber manche Gewissheiten sollte man doch schon überprüfen, bevor ihre Revisionen in Bücher à la ‘War Karl der Kahle wirklich kahl?', ‘Tratschkes Lexikon für Besserwisser’ usw. eingehen, aus denen man dann erstaunt erfahren kann, dass z. B. Nero keineswegs der Spinner war, als den ihn Sueton verleumdet hat.

Aktuell kann man sich mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg und mit Pius XII. beschäftigen, beide hinsichtlich ihrer Beziehung zu Hitler. Die Verschwörer vom 20. Juli 1944 wollten Hitler töten, weil ihnen klar geworden war, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Stauffenberg verachtete zwar als Adeliger das Proletentum der Nazis, war aber wie viele Konservative seiner Zeit nationalistisch, antisemitisch und antiparlamentarisch eingestellt. Der Werbe-One-liner für den Film ‘Operation Walküre’ heißt ‘Andere folgten Befehlen – sie folgten ihrem Gewissen’. Stauffenberg glaubte an ‘das heilige Deutschland’ (angeblich seine letzten Worte), mit dem man heute nichts mehr im Sinn haben kann.

In Berlin läuft derzeit eine Ausstellung zum Leben des Papstes Pius XII., den der Schriftsteller Rolf Hochhuth 1963 mit seinem Stück ‘Der Stellvertreter’ offenbar für alle Zeiten massiv angepatzt hat. Hochhuths Vorwurf (im Drama), der Papst sei ‘ein Verbrecher’, weil er ‘aus Staatsräson’ zu den Judenverfolgungen geschwiegen habe, konnte eigentlich immer schon nur für jene Gläubigen bedeutungsvoll sein, die den Papst wirklich für den Stellvertreter Christi auf Erden halten. Wer ihn hingegen lediglich als Kirchenoberhaupt und Staatsmann sieht, wird Verständnis für Pius’ Haltung, die Nazis nicht bis aufs Blut zu reizen, aufbringen. Dem Papst hätte keiner geholfen, wenn Hitler ihn tatsächlich hätte entführen lassen, wie es 1942 geplant war. Und die Ausstellung zeigt, dass Pius sich in der Weihnachtsbotschaft jenes Jahres zur Vernichtung Hunderttausender ‘auf Grund ihrer Nationalität oder Rasse’ geäußert hat.