Interessante Zeiten

/ Kurt Bracharz

Alle sollen Opfer bringen, titelte neulich die Regionalzeitung. Da konnte ich sofort zustimmen. Ich glaubte natürlich, es seien Menschenopfer gemeint. Eine Pyramide von Spekulantenschädeln als Mahnmal vor jeder Börse. Ein paar gepfählte Vermögensberater, ein paar gekreuzigte Oligarchen. Was sind tausend Wirtschaftsanwälte auf dem Meeresgrund? Ein guter Anfang.

Hallo, Leute, jetzt bitte keine Missverständnisse! Das ist alles nur Satire, keine Volksverhetzung! War nur Spaß. Niemand ist schuld an der Finanzkrise, alles war eine Art Lemmingzug, wuselige kleine Tiere mit winzigen Hirnen taumelten ihren Führern hinterher über die Kante. Die Banker waren alle zu dumm, um völlig falsche Ratings zu durchschauen, jeder Anleger musste glauben, dass Investitionen in China und im Ostblock irre Renditen abwerfen würden, die Autobauer hatten die besten Marktprognosen für SUVs, die Computerbranche boomte etc. Und schließlich konnte jeder, aber auch wirklich jeder durch das Fernsehen Millionär werden oder durch das Lotto Multimillionär. Der Neoliberalismus ist die beste aller möglichen Wirtschaftsformen, zumindest für ein paar Beutegreifer. Und den Elsner haben wir immerhin eingesperrt, er hat sich zu früh erwischen lassen. Wer zu früh kommt, den bestraft der Partner, das ist nicht nur beim Geschlechtsverkehr so.

Der alte chinesische Fluch ‘Mögest du in interessanten Zeiten leben!’ ist in Erfüllung gegangen, jetzt kann man auch an den sonst völlig geistfreien Abenden vor der Glotze sitzen und im News-Ticker anschauen, welche bekannten Firmen heute wieder pleite gegangen sind, wie weit die Indizes noch hinunter können und wie eben noch gesunde Unternehmen nichts mehr wert sein sollen. Es ist schon interessant zu sehen, was sich mit dem Schweizer Bankgeheimnis tut, wie das so lange als Urlaubsparadies hochgejubelte Dubai vom hohen arabischen Ross fällt und wie die einzig permanent wachsenden Zahlen die der Arbeitslosen und der Schulden sind. Bei denen hilft jetzt auch keine Kosmetik mehr.