Ein Paradefall für Rechtsunsicherheit

/ Kurt Bracharz

Für die Schwanz ab/Kopf ab-Fraktion der Leserbriefschreiber auch internationaler Zeitungen ist der Fall Polanski klar: Der Mann hat 1977 vor einem US-Gericht zugegeben, mit einer 13-jährigen Sex gehabt zu haben, was gibt’s da noch zu deuteln? Ihnen stehen die gegenüber, die Künstler für sakrosankt halten, und jene, die meinen, die Ermordung seiner schwangeren Mutter durch die Nazis in Auschwitz und die Ermordung seiner schwangeren Ehefrau durch Mansons Gang seien für Polanski, der als Kind selbst missbraucht wurde, mildernde Umstände.

Seinerzeit gab es noch eine Fraktion, die meinte, eine Mutter, die ihre minderjährige Tochter zu einer Fotosession für die französische ‘Vogue’ in die Villa des bekannten Sexmaniacs Jack Nicholson brachte und sie dort allein mit einem Europäer zurückließ, sei wohl irgendwie mitschuldig, und das Mädchen habe älter ausgesehen usw. Wenigstens die sind mittlerweile verstummt.

Wirklich relevant ist nur die Frage der Verjährung. In den USA greift die Verjährung in diesem Falle nicht, weil der damals wegen ‘statutory rape’ (‘Unzucht mit Minderjährigen’, entspricht nicht einer Vergewaltigung) angeklagte Polanski nach seiner Entlassung aus einer vom Gericht angeordneten Beobachtung in einer kalifornischen Gefängnispsychiatrie aus den USA floh. Das ist angesichts der offensichtlich dubiosen Praxis des damals zuständigen Richters psychologisch nachvollziehbar, war juristisch aber ein gravierender Fehler, denn Flucht verhindert Verjährung.

Sowohl Polanski als auch sein ehemaliges Opfer haben seither mehrmals versucht, das schwebende Verfahren doch noch zu einem Abschluss zu bringen, aber die Amerikaner verlangten Polanskis persönliches Erscheinen, ein Risiko, auf das der Regisseur nicht eingehen wollte. Auch unter US-Juristen umstritten ist nämlich, ob es bei der damaligen Anklage ‘statutory rape’ bleibt oder ob sie verschärft werden könnte.

Die Schweiz jedenfalls dürfte Polanski für ein Delikt, das nach Schweizer Recht verjährt wäre, nicht ausliefern.