Der Fall Sarrazin

/ Kurt Bracharz

Das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin, 64, ehemaliger Berliner Finanzsenator und jetzt Vorstandsmitglied der deutschen Bundesbank, ist schon mehrmals mit öffentlichen Äußerungen angeeckt, zum Beispiel, als er sagte, Sozialhilfeempfänger können bei überlegtem Einkaufen auch von vier Euro pro Tag leben, oder bei Filialschließungen seien längere Anfahrtswege zwar unangenehm, aber nicht existenzbedrohend.

Ins Zentrum des Fettnapfs sprang Sarrazin aber mit einem Beitrag zur aktuellen Nummer der Zeitschrift ‘Lettre International’, in dem er schrieb, dass ein großer Teil der Araber und Türken in Deutschland integrationsunwillig und –unfähig sei, dass sie einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten hätten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, dass Geldleistungen für die Unterschicht familienpolitisch ein Fehler seien, und dass er, Sarrazin, niemand anerkennen müsse, ‘der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert’.

Die Grüne Renate Künast sagte zur FAZ, Sarrazins Menschenverachtung sei untragbar, SPD-Mitglieder verlangten seinen Ausschluss, der Bundesbankchef Axel Weber forderte ihn zum Rücktritt auf. Ganz so heiß wurde die Suppe dann doch nicht gegessen: In einer Vorstandsitzung der Bundesbank wurde Sarrazin ‘nur’ das wichtige seiner drei Ressorts, nämlich die Zuständigkeit für den Bargeld-Umlauf, entzogen, während ihm Informationstechnologie und Risiko-Controlling blieben. Die Begründung war das Neutralitätsgebot der Bundesbank, Sarrazins Verteidigung, dass er sich nicht im Namen der Bank geäußert habe.

Der Hintergrund der Affäre war, dass Bundesbankchef Weber die Banken- und Versicherungsaufsicht an sich ziehen will und deswegen nichts tolerieren kann, was den Nimbus der politischen Unabhängigkeit der Bundesbank gefährdet. Wer die Meinungsfreiheit höher einschätzt als den Ehrgeiz des obersten deutschen Bankers, muss freilich trotzdem alle Alarmglocken schrillen hören.