Requiescant

/ Kurt Bracharz

Als viele Zeitungen in den Tagen nach dem Flugzeugabsturz in Smolensk schrieben, Polen habe auf einen Schlag ‘seine Elite verloren’, hat sich wohl mancher Leser gedacht, dann wäre Polen das einzige Land auf der Welt, in dem Politiker, Generäle und Militärbischöfe die Elite des Volkes darstellen. Nun ist es halt eine Definitionsfrage, was man unter Elite verstehen will: Wenn es einfach nur die sein sollen, die es in der Gesellschaft nach ganz oben geschafft haben, dann war’s ja tatsächlich so.

Der Kabarettist Priol warf im TV die Frage auf, was man wohl in Deutschland sagen würde, wenn ein paar Regierungsmitglieder, ein Großteil der Bundestagsabgeordneten plus hohe Kleriker wie Mixa so ums Leben kämen; die Pointe kann man sich denken. Das Publikum amüsierte sich. Unter den 96 Toten sind aber auch Menschen, die nicht zu den oben angeführten Kreisen zählten, wie die 15 Hinterbliebenen des Katyn-Massakers 1940 oder die 81-jährige Anna Walentynowicz, deren Entlassung als Kranführerin auf der Leninwerft wegen regimefeindlicher Aktivitäten jene Streiks auslöste, die später zur Gründung von Solidarnosc führten.

Aber auch Präsident Lech Kaczynski, der als Hälfte der Kaczynski-Zwillinge in den höchsten Staatsämtern oft Anlass zu berechtigtem Spott gab, war keine eindimensionale Figur. Er unterstützte zwar George W. Bushs Irak-Politik mit dem Einsatz polnischer Soldaten und hätte auch eine US-Raketenbasis auf polnischem Boden akzeptiert, und er widersetzte sich als Präsident nicht der von seinem Bruder als Premierminister eingefädelten Koalition seiner katholisch-nationalistischen Partei PiS mit der rechtsradikalen ‘Liga polnischer Familien’. Aber Lech Kaczynski strebte auch intensiv nach einer Aussöhnung zwischen Polen und Juden – bemerkenswert im nach wie vor antisemitischen Polen – , was ihm prompt Verhöhnungen als ‘Lech Kaczynski-Kalkstein’ und die Einschätzung seiner Israel-Reise 2006 als ‘Heimkehr in sein wahres Vaterland’ einbrachte. Auf den Wavel passt er trotzdem nicht.