Das Herz Europas – ein Bahnhof

/ Kurt Bracharz

Es hat schon viele Orte gegeben, die sich für das Herz Europas hielten, der aktuellste scheint Stuttgart zu sein, die Webseite der Befürworter des Bahnhofprojekts ‘Stuttgart 21’ heißt jedenfalls www.das-neue-herz-europas.de. Die Pläne für ‘Stuttgart 21’ liegen schon seit 1994 vor, jetzt ist aber unter Polizeischutz am Nordflügel des Bahnhofs ein Bauzaun aufgestellt worden, weil man die Sache offenbar ernsthaft angehen will, und deshalb gab es am 7. August eine Großdemonstration der Gegner des Projekts – 10.000 wackere Schwaben waren es laut Polizei, 16.000 nach eigener Zählung.

Der altbekannte Kopfbahnhof soll teilweise abgerissen und durch einen unterirdischen Bahnhof ersetzt werden, jede Menge Tunnels wird neu gegraben, auf das ehemalige Gleisgelände wird ein neues Stadtviertel gebaut. Die Fahrzeit nach Ulm wird halbiert, jene zum Flughafen nur noch ein Drittel betragen (8 Minuten statt 27: Na, wenn sich das nicht rentiert!). Geschätzte Bauzeit incl. Innenstadt-Chaos: 10 Jahre. Die Befürworter schätzen die Gesamtkosten auf etwas über vier Milliarden Euro (wobei diese Zahl vom Rechnungshof bezweifelt wird), die Gegner auf mehr als das Doppelte. Letztere legen ein Alternativprojekt vor, K21, das eine Modernisierung des bestehenden Bahnhofs und ein neues Gleisvorfeld vorsieht. Die Kosten werden mit 2,3 Milliarden beziffert.

Interessant ist die Angelegenheit über Stuttgart hinaus, weil offenbar die Mehrheit der Stuttgarter Bürger gegen ‘Stuttgart 21’ ist – angeblich satte 70 Prozent. Eine Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren gegen das Projekt brachte sofort 60.000 Unterschriften, wobei 20.000 gereicht hätten. Die Bahn hat mittlerweile eine Gegenkampagne gestartet, die Stadt das Volksbegehren vom Tisch gewischt, es sei ‘aus juristischen Gründen’ nicht möglich. Die PR-Kampagne pro ‘Stuttgart 21’ hat immerhin einen hübschen Spruch gefunden: ‘Einen Zug darf man schon einmal verpassen. Die Zukunft nicht.’ Aber die Zukunft ist halt auch nicht mehr das, was sie einmal war.