Kein Hoax, reine Ignoranz

/ Kurt Bracharz

In den Regionalblättern spukte noch am 1. Mai die Falschmeldung herum, dass die EU ab 30. April 2011 alle Naturheilmittel verboten habe. In einem Leserbrief in den VN vom 23. April waren Details ‘enthüllt’ worden: ‘Heilen ist verboten! Wer nach dem 31. (sic!) 4. 2011 im Privatgarten Heilpflanzen züchtet und erwischt wird, kann bestraft werden. Hinterlistig werden wir durch die EU unserer ureigensten Grundrechte beraubt.’ Eine Woche später gab es derselbe Leserbriefschreiber zwar etwas kleiner, beharrte aber darauf, dass ‘durch diese EU-Richtlinie Heilpraktiker/Naturheiltherapeuten/Menschen … wieder um wichtige Naturheilmedikamente gebracht’ würden.

Der Unsinn ging zurück auf Kettenbrief-Mails vom Herbst 2010, in denen es hieß, die EU-Richtlinie 2004/24/EG habe den oben behaupteten Inhalt, und die dazu aufforderten, eine E-Petition dagegen zu unterschreiben. Tatsächlich verpflichtet die Richtlinie die Hersteller von rezeptfreien Fertigarzneimitteln, Belege für die Wirksamkeit und Sicherheit ihrer Produkte vorzulegen. Was man selber zusammenmixt oder z. B. vom Apotheker mischen lässt, ist davon in keiner Weise betroffen, von Pflanzen im Garten und in der Natur ganz zu schweigen. Für Fertigarzneimittel (z. B. Melissengeist), die schon länger als 30 Jahre auf dem Markt sind, gab es ein vereinfachtes Registrierungsverfahren, für das ein Gutachten mit Literaturüberblick ausreichte. Für diese Verfahren lief die Frist am 30. April 2011 ab. Die Deutschen haben die Richtlinie schon 2005 mit der 14. Novelle ihres Arzneimittelgesetzes in nationales Recht umgesetzt.

Das Erstaunliche an der Desinformationskampagne ist aber nicht, dass die E-Petition verfasst wurde, obwohl Fertigarzneimittel-Hersteller wie ‘Salus’ und der Fachverband Deutscher Heilpraktiker explizit erklärt hatten, dass es sich bei den Unterstellungen um groben Unsinn handle, sondern dass weit über 100.000 Personen die Petition unterschrieben, deren Inhalt sie ohne jeden Versuch einer Überprüfung für bare Münze nahmen.