Das Zeitalter des IWF

/ Kurt Bracharz

Vorige Woche berichteten die Londoner ‘Financial Times’ und mehrere Athener Zeitungen, griechische Steuerfahnder hätten bei der Genfer HSC Private Bank (Suisse) das Konto einer gewissen Maria Panteli über 550 Millionen Euro gefunden. Maria Panteli heiße eigentlich Margaret Papandreou und sei die 89-jährige Mutter jenes Giorgos Papandreou, der bis Mitte 2011 griechischer Ministerpräsident war.

Margaret Papandreou konterte die Anschuldigung mit ‘Pure Lüge!', Giorgos sprach nur von einem ‘unbestätigten Gerücht ohne entsprechende Belege’. Wenn er wenigstens ‘Beweise’ statt ‘Belege’ gesagt hätte … die Belege haben die Papandreous sicher alle beiseite geschafft (oder soll ich stattdessen wirklich hinschreiben, es gelte die Unschuldsvermutung?). Fast zur selben Zeit musste der deutsche Finanzminister Schäuble zugeben, dass er für die angestrebte finanzielle Rettung Griechenlands Geld benötigt, das unter ungünstigen Umständen (und andere sind kaum zu erwarten) den Deutschen im eigenen Haushalt fehlen wird. Dabei geht es immerhin um 2,7 Milliarden Euro.

Ein paar Tage zuvor hatte sich in der ‘Süddeutschen Zeitung’ der Seouler Germanistik-Professor Kishik Lee an den im Jahre 1997 unmittelbar drohenden Staatsbankrott Südkoreas erinnert. Damals hatte eine asiatische Finanzkrise im Dominoprinzip Thailand, Indonesien, Malaysia, Singapur und schließlich Südkorea erfasst. ‘Der Zinssatz stieg zeitweise bis auf 30 Prozent. Im November 1997 brach die südkoreanische Börse um mehr als 50 Prozent ein, unsere Währung verlor gegenüber dem amerikanischen Dollar rund 60 Prozent an Wert. Innerhalb von ein paar Monaten brachen 14 der 30 größten Unternehmenskonglomerate zusammen, Daewoo zum Beispiel, dazu weitere 3300 große und mittlere Unternehmen.’ Kishik Lee schildert, wie der IWF neoliberale Massnahmen als Gegenleistung für eine Unterstützung in Höhe von 58,3 Milliarden Dollar forderte – übrigens ein Klacks, verglichen mit dem Geld, das mittlerweile an Griechenland verschleudert wurde.

Und was machten die Südkoreaner, die den Tag, an dem sie sich um Kredit an den IWF wenden mussten, als ‘Tag der nationalen Erniedrigung’ empfanden? Sie reagierten mit der Bewegung ‘Das Land neu gründen’. Die Bevölkerung verkaufte Hochzeitsschmuck und Geburtstagsringe nach dem Motto ‘Zuerst den Staat retten, später neue Goldringe kaufen’. 3,5 Millionen Spender brachten 227 Tonnen Gold zusammen, die exportiert wurden. Im übrigen wurde gespart, wo es nur geht (natürlich geht das nur in Asien, in sämtlichen europäischen Staaten wären Gewerkschaftsforderungen nach längerer Arbeitszeit, freiwillige Lohnkürzungen und Subbotniks völlig undenkbar). Bereits im August 2001 hatte Südkorea seine Schulden bis zum letzten Cent zurückgezahlt und damit das als nationale Schande empfundene, von ihnen so genannte Zeitalter des IWF’ beendet.

Kishik Lee schreibt, die Bevölkerung hätte die Aufnahme des Kredits mit dem 29. August 1910 verglichen, an dem Japan Korea annektierte, und kollektiv geweint, ‘nicht nur wegen der Krise, sondern auch aus nationalem Schamgefühl’. Die Völkerpsychologie kennt Gesellschaftsformen, in denen für abweichendes Verhalten vom Individuum entweder Schuld (wie z. B. in Deutschland) oder aber Scham (wie z. B. in Japan) empfunden wird. Bei den Griechen dürften allerdings beide Empfindungen nicht sonderlich stark ausgeprägt sein.