Keine Gefahr für den Genpool

/ Kurt Bracharz

Der Schweizer Bundesrat will den einvernehmlichen Beischlaf zwischen erwachsenen Verwandten ersten Grades straffrei stellen. Bisher wird in der Schweiz nach Artikel 213 des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert, wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht.

Der Bundesrat schlug 2010 im Zuge einer allgemeinen Überprüfung von schweizerischen Strafbestimmungen auf ihre Verhältnismäßigkeit die Aufhebung dieses Inzestverbots vor, die Vernehmlassung zu diesem Punkt wurde im Dezember 2011 abgeschlossen. Wenn zwischen Erwachsenen keine Freiwilligkeit gegeben oder wenn einer der beiden Partner minderjährig ist, würde es sich dabei nach wie vor um Straftatbestände wie Vergewaltigung, Schändung, Nötigung und sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen bzw. Unzucht mit Minderjährigen handeln, so dass die Gesetzesänderung am ehesten den Beischlaf zwischen volljährigen Geschwistern betreffen würde, bei welchem es kein Opfer im Sinne des Strafgesetzes gibt.

Ein weiteres Argument lautet, das bestehende Gesetz habe ohnehin nur noch marginale Bedeutung, weil es in der Schweiz in den letzten zehn Jahren lediglich jeweils zwei oder drei Verurteilungen gegeben hat. Gegner der Straffreistellung weisen darauf hin, dass bei einer Legalisierung inzestuöser Beziehungen auch Heiraten und Nachwuchs erlaubt werden müssten, weil ein Fortpflanzungsverbot als unzumutbarer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der sexuellen Selbstbestimmung gilt.

Da eine Legalisierung jedoch nichts am sozialen Tabu des gesellschaftlich weiterhin als skandalös wahrgenommenen Inzests ändern werde, würde sie eine verquere Familiensituation für Kinder aus solchen Verbindungen schaffen. Das medizinische Problem, dass Nachkommen aus inzestuösen Verbindungen in höherem Ausmaß unter Erbkrankheiten leiden, spielt für den Gesetzgeber keine Rolle, für ihn ist alles, was nach Eugenik klingt, stärker tabuisiert als der Inzest.

In Deutschland ist das (fast) ausdiskutiert worden, dort steht in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2008, es verbiete sich schon von der Verfassung her, den Schutz der Gesundheit potentieller Nachkommen zur Grundlage strafgesetzlicher Eingriffe zu machen. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik wies außerdem darauf hin, dass Inzestverbindungen von Geschwistern infolge ihrer Seltenheit keinen realen Einfluss auf den Genpool der Bevölkerung hätten.

In Österreich wird ‘Blutschande’ gem. § 211 StGB mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft, der Beischlaf zwischen Geschwistern mit sechs Monaten. Der Beischlaf zwischen Minderjährigen wird nicht notwendigerweise verfolgt, auch wer minderjährig zur Tat ‘verführt’ wurde, wird nicht bestraft. Weil von Österreich offenbar immer Kuriosa zur Rechtsgeschichte beigesteuert werden müssen, ist umstritten, ob die Einführung von Fingern oder Gegenständen in den After eine ‘beischlafähnliche Handlung’ ist, weil der After ‘kein Geschlechtsteil’ sei, aber ‘nahe an der Genitalregion’ liegt.