Nordkoreanische Gaskammern?

/ Kurt Bracharz

In den Berichten über die Zustände in Nordkorea taucht seit Jahren immer wieder die Behauptung auf, in den Konzentrationslagern im Norden des Landes seien Menschen vergast worden. In einem von der BBC ausgestrahlten Dokumentarfilm sagte ein Mann, der sich Kwon Hyok nannte, er habe als Lagerkommandant des Gefangenenlagers Nr. 22 in der Region Haengjong mitangesehen, wie eine vierköpfige Familie – Vater, Mutter, Tochter, Sohn – in einer dreieinhalb mal drei Meter großen, gläsernen Zelle vergast worden sei. Ihr Todeskampf sei von Wissenschaftlern beobachtet worden, die an der Entwicklung von Flüssiggas für Chemiewaffen arbeiteten.

Vor kurzem ging ein Interview durch die Presse, das der Journalist Claas Relotius in einem Café in der Innenstadt von Seoul mit einem Mann geführt hat, der sich Shin Dong-hyuk nennt. Der angeblich 1982 in einem der sogenannten ‘Lager der totalen Kontrolle’ als Kind eines Häftlingspaares geborene Dong-hyuk soll mit 23 Jahren aus dem Lager geflohen sein und einen Monat als Landstreicher gelebt haben, bevor ihm der illegale Grenzübertritt nach China gelang.

In China war er Wanderarbeiter, bis ihm die zufällige Begegnung mit einem Journalisten zuerst eine Aufnahme in der südkoreanischen Botschaft und dann die Ausreise nach Südkorea ermöglichte. Dort wurde er monatelang vom Geheimdienst verhört, der seither keine Zweifel an der Wahrheit seines Berichts haben soll. Beweisbar ist Dong-hyuks Darstellung für westliche Medien naturgemäß nicht – der Ex-Häftling könnte auch ein Produkt des südkoreanisches Geheimdienstes sein (selbst wenn man den Eindruck hat, gegen das nordkoreanische Regime brauche es keine erfundene Propaganda mehr).

Die Existenz von Konzentrationslagern in Nordkorea kann man aber nicht bezweifeln, die teilweise hunderte von Quadratkilometer großen Anlagen sind auf Satellitenaufnahmen einwandfrei zu erkennen. Es sind keine als solche deklarierten Todeslager wie Auschwitz, sondern Zwangsarbeitslager, wobei es zumindest in einigen zu dem kommt, was bei den Nationalsozialisten ‘Vernichtung durch Arbeit’ hieß: Die Lagerinsassen sterben durch physische Überforderung bei gleichzeitiger Mangelernährung, und das ist von den Verantwortlichen durchaus beabsichtigt.

Das Interview von Relotius mit Shin Dong-hyuk wurde in der Schweizer ‘Weltwoche’ und im österreichischen ‘Profil’ nachgedruckt. Dabei gab es einen bemerkenswerten Unterschied: Im ‘Profil’ fehlte der Hinweis auf eine Gaskammer, der in der ‘Weltwoche’ abgedruckt war. Man kann annehmen, dass ‘Profil’ die automatische Assoziation von ‘Gaskammer’ mit ‘Vernichtungslager’ bei den Lesern vermeiden wollte. Menschenversuche in nordkoreanischen Lagern wären aber durchaus mit denen in Dachau und anderen KZs vergleichbar, und das nicht nur darin, dass sie hier wie dort dem Militär dienten.