Klischees gegen Klischees

/ Kurt Bracharz

Der deutsche Cartoonist Ernst Kahl produziert witzige und weniger witzige Bilder. Eine Serie, die er unter dem Titel ‘Tafelspitzen’ für das Gourmetmagazin ‘Der Feinschmecker’ gemalt hat und die auch ‘Wörtlich genommen’ hätte heißen können, gehört unzweifelhaft zu den weniger witzigen. Da steht zum Beispiel eine ‘Beleidigte Leberwurst’ trotzig in der Ecke, weil ein paar große Schinken das kleine Würstlein geärgert haben, oder ‘Karpfen und Forelle blau’ werden von einem Frosch-Kellner aus dem Wirtshaus hinauskomplimentiert, weil sie betrunken, also ‘blau’ sind. Wer da lachen könnt’!

Die ‘Süddeutsche Zeitung’ besitzt die Abdruckrechte an einigen Bildern Kahls und verwendet sie hin und wieder als Illustrationen – zuletzt am 2. Juli 2013 zu den Rezensionen der Bücher ‘Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft’ von Peter Beinart und ‘Staatsraison? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet’ von Werner Sonne.

Das dazu abgedruckte Bild zeigt einen Troll, der mit gezücktem Essbesteck im Bett auf das Frühstück wartet, das von einer im Halbprofil dargestellten Frau auf einem Tablett gebracht wird. Hinter ihm hängt ein Picasso an der Wand, neben ihm steht auf dem Fensterbrett ein Kaktus, die Ruhestätte des Trolls ist ein altes hölzernes Bett, sein Nachtgewand ein blaues Nachthemd oder Pyjama. Das angebliche ‘Monster’ mit Stupsnäschen, Fangzähnen und Hörnchen erinnert an jene aus dem Kinderbuch ‘Wo die wilden Kerle wohnen’ von Maurice Sendak.

Der Bildtext lautete nun: ‘Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.’ Diese Bild- und Wortwahl war nicht gerade klug. Auch wenn der Bildtext klar besagt, dass der Troll Israels Image bei dessen Feinden symbolisieren soll, geht bei diesem Thema alles, was man irgendwie missverstehen kann, in Deutschland verlässlich ins Auge.

Ernst Kahl erklärte, er sei entsetzt und hätte bei einer Rücksprache vor dem Abdruck die Zustimmung mit Sicherheit verweigert. Das American Jewish Committee reichte beim Deutschen Presserat eine Beschwerde ein. Die Direktorin des AJC Berlin Ramer Institute erklärte: ‘Es ist skandalös, dass eine große deutsche Zeitung sich einer jahrhundertealten antisemitischen Bildsprache bedient.’ Die ‘Jüdische Allgemeine’ schrieb von einem ‘bewusst bösartigen Effekt, der an schlimmste, in Konsequenz mörderische antisemitische Hetze’ erinnere.

Am 5. Juli druckte die SZ unter dem Titel ‘Niedrigste Klischees bedient’ einige Leserbriefe ab, in denen es zum Beispiel hieß: ‘Antisemitische Hetze … Perfidie oder bodenlose Dummheit … wie in einem antisemitischen Hetzblatt … schwerer Missgriff … monströser Moloch, dazu missbraucht, Israel zu dämonisieren, das einzige Licht an einem sehr dunklen Fleck der Erde … himmelschreiende antisemitische, anti-israelische und lächerliche Karikaturen, deren einziger Zweck es ist, die öffentliche Meinung dazu zu bringen, die Juden bösartig zu verfolgen … nichts aus der Vergangenheit gelernt’.

Zu diesen Briefen war die Entschuldigung der SZ abgedruckt, die von ‘einem missglückten Versuch, mit den Mitteln der Karikatur darzustellen, wie der Staat Israel von seinen Feinden gezeichnet wird’, also einer ‘Symbolisierung der Anti-Israel-Klischees’ sprach und zu verdeutlichen versuchte: ‘Es wurde also ein Klischee verwendet, um Klischees anzuprangern, und das hat nicht funktioniert, auch wenn in der Bildunterzeile die Erklärung versucht wurde.’

Das Platteste aller einschlägigen Klischees brachte Henryk M. Broder ins Spiel, nämlich die Formel, die SZ habe mit der Karikatur dort angesetzt, wo ‘Der Stürmer’ 1945 aufhören musste. Dieser Vergleich mit dem Nazi-Hetzblatt ‘Der Stürmer’ auch kommt regelmäßig in Leserbriefen und Postings und lässt fast immer den Schluss zu, dass die Schreiber nicht nur das Original nie zu Gesicht bekommen haben, sondern auch die Bildzitate im Internet nicht kennen.

Zum Vergleich einer typischen Judendarstellung des ‘Stürmer’-Karikaturisten Philipp Rupprecht (‘Fips’) und dem Bild von Kahl bietet sich http://www.calvin.edu/academic/cas/gpa/images/sturmer/DS-1936-41.jpg an. Wer dann den Vergleich zwischen SZ und ‘Stürmer’ noch ziehen mag, muss entweder blind oder – sagen wir mal – voreingenommen sein.