Silvio, Schande des Finanzdschungels

/ Kurt Bracharz

In einem Punkt hatte der alte Verbrecher Berlusconi (‘Gauner’ wäre doch zu verharmlosend) wohl Recht, wenn er nämlich immer wieder die italienischen Richter und Staatsanwälte bezichtigte, auf eigene Faust Politik machen zu wollen. Das ist nun in einem Rechtsstaat tatsächlich nicht Sache der Justiz, aber ob die gegenwärtige italienische Republik nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität ein Rechtsstaat ist, wäre erst einmal zu diskutieren.

Die enge Verquickung von Politik und organisiertem Verbrechen in Italien führt ganz automatisch dazu, dass Gerichtsurteile gegen Politiker Auswirkungen haben können, die weit über das persönliche Schicksal der Betroffenen hinausgehen. Berlusconi ist jetzt zum ersten Mal rechtskräftig, nämlich in letzter Instanz, verurteilt worden, zu vier Jahren Gefängnis, der er nicht absitzen muss, und mit einem Verbot der Ausübung politischer Ämter.

Das Kassationsgericht hatte den Verhandlungstermin ungewöhnlich früh angesetzt, damit nicht wieder wie bei einer ganze Reihe von Prozessen gegen Berlusconi die Verjährung gerade noch für ihn ‘rechtzeitig’ einsetzte. Die generelle Verkürzung der Verjährungsfristen war in seinen Regierungszeiten – der ehemalige Animateur auf Kreuzfahrtschiffen war vier Mal italienischer Premier – erfolgt, wobei es immer ganz offen nur um seinen persönlichen Vorteil ging, ebenso wie bei der ebenfalls auf sein Geheiß und zu seinem Nutzen erfolgten Minderung der Bilanzfälschung vom Verbrechen zur Ordnungwidrigkeit.

Berlusconi war damals vorgeworfen worden, über Off-Shore-Firmen eine Milliarde Euro Schwarzgeld gewaschen zu haben. Die ‘Lex Berlusconi’ schaffte 2002 den Straftatbestand der Bilanzfälschung rückwirkend (!) ab, so dass das Verfahren eingestellt werden musste. Dagegen verblassen die skandalösen Urteile, in denen Berlusconi wegen Verjährung freigesprochen wurde in Prozessen wegen illegaler Parteienfinanzierung (1999), wegen Bestechung der Finanzpolizei (2001), und wegen Richterbestechung (2004).

In einigen Prozessen sind Mitangeklagte verurteilt worden, zum Beispiel Berlusconis Anwalt Previti 2001 oder der britische Anwalt David Mills (2012), der für Berlusconi einen Meineid geleistet hatte. Der dicke Fisch entkam aber immer durch die von ihm selbst erweiterten Maschen des Netzes. (Bei seinem eigenen Verfahren wegen des Meineids, er habe nie der Geheimloge P 2 angehört, kam Berlusconi 1990 noch in den Genuss einer allgemeinen Amnestie.)

Das alles wären in einem anderen Staat als Italien Wirtschaftsverbrechen, die genügt hätten, den Mann zumindest aus der Politik zu entfernen. Über Berlusconis Verhältnis zur sizilianischen Mafia braucht man dabei gar nicht zusätzlich zu spekulieren. Festgenommene Mafiosi behaupteten als Kronzeugen, Berlusconi habe in den 1990er Jahren der Mafia in seiner Partei Forza Italia politische Einflussnahme ermöglicht und sei sogar selbst Auftraggeber von Attentaten gewesen. Zumindest Letzteres muss man nicht unbedingt glauben, es ist aber durchaus möglich.

Schließlich war der Christdemokrat Andreotti, der 45 Jahre lang eine Reihe von Regierungsämtern ausübte und sieben mal Italiens Premierminister war, mit Sicherheit ein Mann der Mafia und wohl auch in die Ermordung eines investigativen Journalisten verwickelt, obwohl er von diesem Verschwörungsvorwurf freigesprochen wurde. Andreotti, der verbal eine wesentlich feinere Klinge führte als Berlusconi, spottete über ein Gerichtsurteil, das ihm 2005 ‘freundschaftliche und direkte Beziehungen’ zur Mafia nachsagte: ‘Außer den Punischen Kriegen, für die ich zu jung war, hat man mir immer schon alles anzuhängen versucht.’

Zum Vergleich der verbalen Geschliffenheit: Berlusconi hat die deutsche Kanzlerin in einem abgehörten Telefongespräch im September 2011 einen ‘unfickbaren Breitarsch’ genannt (und das ist nicht durch die NSA bekannt geworden!), bei einer politischen Veranstaltung 2009 verkündet, es werde in Italien nie genug Soldaten geben, ‘um die vielen schönen Mädchen vor einer Vergewaltigung zu schützen’, oder in einer TV-Ansprache zu den obdachlosen Erdbebenopfern in L’Aquila gesagt, sie sollten ihre Notunterkünfte doch einfach als Campingwochenende betrachten. Die Erklärung dafür, dass er solche Aussagen politisch überleben konnte, hat er viellleicht auch selbst gegeben, als er – ebenfalls in einem abgehörten Telefongespräch – Italien ein ‘Scheißland’ nannte, das er ‘zum Kotzen’ fände; vielleicht ist da ja doch was dran.