Babyatlantisis darf Hitler grüßen

/ Kurt Bracharz

Der Künstler Jonathan Meese hatte, wie er es immer wieder einmal tut, bei einem Interview mit zwei Redakteurinnen des SPIEGEL zwei Mal den Hitlergruß gezeigt, eine Handlung, die in Deutschland nach § 86 a des Strafgesetzbuches verboten ist. In dem daraufhin auf Grund einer anonymen Anzeige angesetzten Prozess vor dem Amtsgericht Kassel ist Meese nun freigesprochen worden, weil ‘bestimmte Mittel, auch wenn sie von der Strafnorm her verboten sind, für eine künstlerische Darbietung eingesetzt werden dürfen’ (so Meeses Anwältin nach dem Freispruch). Meese selbst sagte es einfacher: ‘Ein deutsches Amtsgericht sagt: ‘Jonathan Meese ist Kunst und darf machen, was er macht

Ob dazu die langen Debatten über Kunst und Kunstfreiheit nötig waren, die die Verteidigung initiierte, ist fraglich. Die Richterin soll von Anfang an Zweifel an der ‘Strafbarkeit des Angeklagtenverhaltens’ gehabt haben. Das wundert einem nicht, wenn man sich auch nur kurz mit dem Künstler Meese beschäftigt; dass sein Verhalten ‘eine verfassungsfeindliche Wirkung’ haben könnte (oder überhaupt neonazistisch gemeint) sei, kann eigentlich niemand annehmen, der einmal Meese in Aktion gesehen hat. Beim Prozess ging es deshalb ja auch um Spitzfindigkeiten wie die, ob eine solche Interviewsituation denn überhaupt ein künstlerischer Akt gewesen war, für den man das Argument der Freiheit der Kunst verwenden könne. Für Meese ist halt irgendwie alles Kunst (‘Babyatlantisis sagt: Die Diktatur der Kunst hat immer recht’), für die Betrachter eines TV-Interviews aber eher nicht. Beim Prozess wirkte Meese wesentlich weniger wirr als sonst bei seinen öffentlichen Auftritten und sagte, er trenne sehr wohl zwischen Künstler und Privatmensch, und er habe seine Aktion ja nicht in der Straßenbahn – also der realen Öffentlichkeit, nicht jener der Medien – aufgeführt.

In Österreich wäre das ein Fall von Wiederbetätigung gewesen, es hätte aber wohl auch einen Freispruch gegeben, weil es ja offensichtlich ist, dass es sich bei Meeses Hitlergruß um ein ironisches Zitat handelt (über seine künstlerische Qualität soll damit nichts gesagt sein). Als vor einiger Zeit in Wien ein grüner Abgeordneter eine Rede des politischen Gegners mit einem ebenso offensichtlich ironischen Hitlergruß kommentierte, gab es auch Protest, und die Alt- und Neonazis posteten noch lange Zeit, wie ungerecht es sei, dass ein Linker den Hitlergruß straffrei machen dürfe und sie nicht. Ob sie den Unterschied erkennen können und sich nur blöd stellen, ist schwer zu sagen, liegt aber im Bereich des Möglichen. Bei Meese konnte es aber sicher niemand ernst nehmen (außer dem Gericht, das sich mit der Anzeige befassen musste), also war der Prozess vollkommen überflüssig. Vielleicht wäre doch sowohl in Deutschland als auch in Österreich eine Novellierung dieser Bestimmungen sinnvoll, das Nazi-Problem ist ja schließlich keines von Symbolen, sondern von realen Gruppierungen. Wenn die sich dann selber brandmarken, ist dagegen wenig einzuwenden.