Von der kaukasischen Rasse

/ Kurt Bracharz

Eigentlich wollte ich hier damit beginnen, wie mir vor einem halben Jahrhundert zum ersten Mal der Begriff der ‘kaukasischen Rasse’ untergekommen war, nämlich auf der ersten Seite von Vladimir Nabokovs Meisterwerk ‘Lolita’, wo Humbert Hubert als ein ‘Witwer kaukasischer Rasse’ bezeichnet wurde. Da mein Vertrauen zu meinem Gedächtnis im Laufe der Zeit geschrumpft ist, habe ich vorsichtshalber nachgeschlagen – allerdings in der neuen Gesamtausgabe, nicht in der alten Übersetzung – und, siehe da, jetzt ist H. H. plötzlich zu einem ‘Witwer weißer Rasse’ geworden.

Das ist zwar sprachlich korrekt, ich halte es aber für eine Fehlübersetzung, weil im Original ‘caucasian’ statt des ebenfalls möglichen ‘white’ steht, und Nabokov bewusst die im Englischen trotz ihrer Absurdität heute noch verwendete Bezeichnung verwendet hat. Das Wort geht auf Johann Friedrich Blumenbachs ‘Handbuch der Naturgeschichte’ von 1779 zurück, in dem fünf Rassen unterschieden wurden. Zur kaukasischen ‘Raçe’ (= Rasse) ‘gehören die Europäer (mit Ausnahme der Lappen und übrigen Finnen), die westlichen Asiaten bis zum Fluß Obi, dem kaspischen Meere und Ganges. Endlich die Einwohner des nördlichen Afrika.’

Mit dem wissenschaftlichen Wert der Blumenbach’schen Meinungen muss man sich heute nicht mehr auseinandersetzen, sie haben keinen Realitätsbezug, keine seiner fünf Menschenrassen entspricht einer biologischen Realität. Aber mittlerweile hat die Debatte ja ohnehin eine ganz andere Richtung genommen, indem von vielen Seiten behauptet wird, es gebe gar keine Rassen bzw. der Begriff als solcher sei obsolet.

Vom russischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft ist gerade die Übersetzung des 2011 erschienenen Buches ‘Biologie und Politik – Die Herkunft des Menschen’ von Uwe Hoßfeld zum offiziellen Lehrmittel ernannt worden. Auf der Webseite der Friedrich-Schiller-Universität Jena kann man dazu lesen: ‘Im Mittelpunkt des inzwischen in zweiter Auflage erschienenen kleinen Buches, das bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erschienen und dort sowie als E-Book erhältlich ist, steht der Begriff der Rasse. Hoßfeld gehört zu den Gegnern des Rasse-Begriffs. ‘Der Begriff ist längst nicht mehr zeitgemäß’, urteilt Prof. Hoßfeld. Wenn von menschlichen Rassen gesprochen werde, sei Rassismus nicht fern, sagt der Professor für Didaktik der Biologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Das scheint die russische Politik ähnlich zu sehen. (…) Dass nun der Rasse-Begriff in Deutschland und Russland umgehend verschwinden wird, glaubt der Jenaer Biologiedidaktiker nicht. ‘Allein neue Lehrpläne brauchen in Deutschland schon gut acht bis zehn Jahre’, sagt er. ‘Ein Umdenken dauert noch viel länger.’ Doch ein weiterer wichtiger Schritt sei mit der Verbreitung in Russland nun gegangen worden. Hoßfeld plädiert übrigens dafür, statt von Rassen von unterschiedlichen menschlichen Ethnien/Populationen oder Kulturen zu sprechen.’

Eine ‘Ethnie’ ist laut Duden eine ‘Menschengruppe mit einheitlicher Kultur’, eine ‘Population’ ‘1. (veraltet) Bevölkerung, 2. Gesamtheit der Individuen einer Art od. Rasse in einem engeren Bereich (Biol.)'. Beide Wörter entsprechen nicht dem Bedeutungsgehalt von ‘Rasse’ (mit den ‘Individuen’ bei 2. sind Tiere gemeint). Die Gegner des Begriffs argumentieren entweder einfach damit, dass die Rassenpolitik des Nationalsozialismus das Wort unverwendbar gemacht habe, oder mit der Behauptung, dass es keiner biologischen Realität entspreche oder aber, in eingeschränkter Fassung: die erkennbaren Unterschiede (in Anatomie, Pigmentierung, Stoffwechsel, Anfälligkeit für bestimmte Erbkrankheiten) zwischen den früher als Rassen empfundenen Menschengruppen seien völlig irrelevant. Letzteres stimmt gewiss für das soziale Zusammenleben und für die Politik, aber Biologie ist eine Wissenschaft, keine Ideologie.

Ein amerikanischer forensischer Pathologe schreibt in einem seiner Bücher, er könne an einem noch so alten und teilweise zerstörten menschlichen Schädel anhand des Gebisses sofort sagen, ob es sich um einen Afro-Amerikaner gehandelt habe oder nicht. Nun ist die Form des Gebisses tatsächlich sozial irrelevant, aber offenbar ist sie ein klares Merkmal für eine – ja, was? – Ethnie? Population? Kultur? Oder doch Rasse?