Genugtuung über Todesurteile – nur in Indien?

/ Kurt Bracharz

Frank Stronach amüsierte wieder einmal das Publikum seiner Wahlkampfauftritte, als er sich für die Todesstrafe für Berufskiller aussprach, damit diese gar nicht erst in Österreich Fuß fassen könnten. Natürlich meldeten sich gleich ein paar besorgte Bürger zu Wort, die darauf hinwiesen, dass die Todesstrafe das Menschenrecht auf Leben verletze, und auch die unvermeidlichen Leserbriefe, die Todesstrafe und Abtreibung in eins setzen, standen schon in der Zeitung.

Was weniger angesprochen wurde, war die Frage, wie man reagiert hätte, wenn Stronach die Todesstrafe nicht für Berufskiller, sondern zum Beispiel für Terroristen, Serienmörder und Kinderschänder verlangt hätte.

In Indien sind gerade vier der 19 bis 28 Jahre alten Männer, die im Dezember 2012 eine 23-jährige Studentin in einem Bus vergewaltigt und mit einer Eisenstange verletzt hatten, zum Tod durch den Strang verurteilt worden. In Indien kann die Todesstrafe bei Mord, Vergewaltigung, Drogenhandel und Terrorismus verhängt werden, zuletzt hingerichtet wurden ein Mann aus Kaschmir wegen Beteiligung an einem Anschlag auf das Parlament und der einzige Überlebende der Attentäter der Terroranschläge in Mumbai 2008. Allerdings werden auch in Indien die meisten Todesurteile in lebenslange Haftstrafen umgewandelt, seit 1995 gab es bei Tausenden von Todesurteilen nur vier tatsächlich ausgeführte Exekutionen, in der Death Row sitzen um die 500 Personen.

In den deutschsprachigen Medien wurde viel über die laut geäußerte Genugtuung der indischen Öffentlichkeit über die Todesurteile berichtet, interessanterweise fast immer ohne den sonst automatisch folgenden Kommentar, wie sehr man doch selbst die Todesstrafe ablehne. Einer der Verteidiger der Vergewaltiger und Mörder hatte in seinem Schlussplädoyer Gandhi zitiert, der gesagt haben soll, Gott habe den Menschen das Leben gegeben, deshalb könne auch nur er allein es ihnen nehmen. In Indien leben freilich die alten Götter und Göttinnen wie Shiva und Khali noch, die mit dem Menschenleben weitaus weniger zimperlich umgingen und umgehen als Gandhis Gott.

Vorher fiel in unseren Zeitungen die immer wieder gebrauchte Wendung ‘ganz Indien sei erschüttert’ auf, die deshalb immer wieder gebraucht werden musste, weil sich in Indien eine Gruppenvergewaltigung nach der anderen ereignete – offenbar war doch nicht ganz Indien erschüttert, vor allem, wenn das Opfer im Unterschied zu der Studentin überlebte. Indien ist ja auch sonst schwer zu erschüttern, ob nun auch in diesem Jahr schon mehrmals fünf- bis achtjährige Kinder aus den Slums entführt, vergewaltigt und getötet wurden, ob ständig Frauen von ihren Ehemännern – meist unter aktiver Beihilfe der Schwiegermutter – verstümmelt oder ermordet werden, ob ein reicher Industrieller sich als pädophiler Serienmörder erwies, aber die Polizei mit der Verhaftung zögerte, weil er eine wichtige politische Persönlichkeit und ein Arbeitgeber war, oder ob sich der Hindu-Nationalist Narendra Modi als Spitzenkandidat seiner Partei BJP im Frühjahr 2014 zur Wahl stellt, der 2002 zu antimuslimischen Ausschreitungen mit 1000 Toten in Gujarat aufgehetzt hatte.

Aus Pakistan wurde gerade die Gruppenvergewaltigung und Ermordung einer Fünfjährigen gemeldet, auch dabei dürfte der Unterschied zum dort Alltäglichen sein, dass das Geschehnis in die internationalen Medien gelangt ist, während man früher im Punjab das Verbrechen im Dorf ließ. Im Jemen ist eine Achtjährige nach einem Sexualakt gestorben – das war aber nach dem dort geltenden Recht keine Vergewaltigung, denn der Tod trat auf Grund der schweren Verletzungen ein, die dem Kind sein über 40 Jahre alter Bräutigam zugefügt hatte, als er es in der Hochzeitsnacht penetrierte.