Mathe und Rechnen

/ Kurt Bracharz

Die Vorarlberger Volksschulen sollen bei einem Test in ‘Mathematik’ österreichweit am schlechtesten abgeschnitten haben. Was an dieser Tatarennachricht sofort auffällt, ist der Gebrauch des Wortes ‘Mathematik’ im Zusammenhang mit dem Wort ‘Volksschule’. Früher lernte man in der Volksschule im Fach Rechnen die vier Grundrechnungsarten und Schlussrechnungen, alles Fähigkeiten für den Alltagsgebrauch. Dieses banale Rechnen und die Wissenschaft der Mathematik kann nur jemand Unbedarfter oder Ignoranter für dasselbe oder für verwandt halten.

Was ‘Rechnen’ ist, weiß jeder, wenn es auch vielleicht nicht jeder sagen kann. Rechnen ist in der Praxis der Umgang mit Algorithmen, das sind Handlungsanweisungen, die man nicht verstehen muss, um sie ausführen zu können. Wir haben einst gelernt, wie man dividiert: man schaut, wie oft der Teiler ‘vorne’ im Nenner enthalten ist, schreibt den Rest an, nimmt die nächste Ziffer des Dividenden herunter und wiederholt den Vorgang, bis die Rechnung aufgegangen, also kein Rest mehr geblieben ist, oder man die gewünschte Anzahl von Stellen erreicht hat. Warum das so funktioniert, darüber hat man sich keine Gedanken machen müssen, und möglicherweiste hätte es der Lehrer auch nicht so recht erklären können, wenn man ihn überhaupt gefragt hätte. Rechnen ist eine mechanische Angelegenheit, die von einfachen Maschinen ausgeführt werden kann – es reicht schon ein Abakus, es muss nicht gleich eine Courta oder – heute – ein Taschenrechner sein.

Wir haben auch noch Kopfrechnen trainiert und dabei die sogenannten Rechenvorteile genützt. Wenn man sich darüber im klaren ist, dass 20 ein Fünftel von 100 ist und man ein Fünftel ausrechnet, indem man durch fünf teilt, kann man scheinbar ohne Rechenzeit und jedenfalls ohne Eintippen in einen Taschenrechner sagen, dass die Mehrwertsteuer von einem Nettobetrag von beispielsweise 135 Euro 27 Euro beträgt (5 geht in 13 zwei Mal, 3 Rest, in 35 sieben Mal, Null Rest – das ist schneller gedacht als hingeschrieben, und ich habe zum Hinschreiben keine fünf Sekunden gebraucht). Das kleine Einmaleins muss man dazu im Kopf haben, aber das ist nun wirklich keine extreme Gedächtnisleistung.

So simpel rechnen kann nun offenbar schon lange kaum noch jemand, ich habe es jedenfalls früher gelegentlich an Supermarktkassen unfreiwillig als eine Art Zauberkunststückchen aufgeführt, manche der Damen, die einen Taschenrechner herausgekramt und mühsam ‘Betrag mal 20 Prozent’ oder ähnlich eingegeben hatten und dann auch noch mit dem Gerät addieren mussten, staunten über die Richtigkeit meiner ‘Prognosen’, anderen wurde gar nicht klar, dass ich das Ergebnis offenbar ‘gesehen’ hatte wie ein Kalenderidiot – pardon, ein Savant, so nennt man heute jene … einseitig Begabten, die auf Anhieb antworten, auf was für einen Wochentag der 4. Februar 2046 fallen wird, aber keine einfachen Kopfrechnungen ausführen könnten.

Man kann natürlich fragen, ob heute, da praktisch jeder immer ein Gerät mit einem elektronischen Rechner bei sich führt, irgend jemand noch selbst rechnen können muss. Ich denke, es trägt ein bisschen zur besseren Orientierung in der Welt bei, Quantitäten aller Art schätzen oder zumindest grob berechnen zu können, ohne dazu eine Maschine heranziehen zu müssen.

Mathematik ist übrigens etwas ganz anderes als das Rechnen in den vier Grundrechnungsarten. In einigen Berufen sind fundierte mathematische Kenntnisse eine Grundvoraussetzung, aber in vielen anderen keineswegs, und es ist schon ernsthaft vorgeschlagen worden, Mathematik aus dem ‘normalen’ Fächerangebot zu streichen und nur gezielt Interessierte und Begabte zu unterrichten. Falls in den Volksschulen tatsächlich statt Rechnen ‘Mathematik’ unterrichtet wird, kann man nur zur schleunigsten Abschaffung raten.