Das Genom der Gypsies

/ Kurt Bracharz

In der Mitte des 14. Jahrhundert forderte der ‘Schwarze Tod’ in Europa etwa 25 Millionen Menschenleben. Seit einigen Jahren gibt es wissenschaftliche Kontroversen darüber, ob es sich bei dieser Epidemie von 1347 bis 1353 tatsächlich um die Pest oder doch um eine andere Krankheit wie etwa die Pocken gehandelt hat. Vor kurzem ging eine Meldung durch die Presse, dass man in jetzt geöffneten Pestgräbern eindeutig den Pesterreger Yersinia pestis identifiziert habe, aber das ist noch nicht wissenschaftliches Allgemeingut.

Der Universitätsprofessor Mihai G. Netea vom University Medical Center St Radboud Nijmwegen ging bei seiner in den ‘Proceedings of the National Academy of Sciences’ vom 4. Februar 2014 veröffentlichten Ergebnissen von Genom-Analysen bei Roma in Rumänien und in Indien sowohl von der Pest-Diagnose als auch von der These aus, dass eine spezielle Genvariante, die bei der großen europäischen Epidemie zwei Dritteln der Bevölkerung das Überleben ermöglicht hatte, sich bei den heutigen Roma in Rumänien in einem weit höheren Ausmaß finden lassen müsse als bei ihren genetisch Verwandten in Indien, wo es keine solche biologische Selektion durch eine Pestepidemie gegeben hat.

Neteas Untersuchungen gaben dieser Vermutung Recht (die Zusammenfassung des englischen Artikels kann unter www.pnas.org/content/early/2014/01/30/1317723111.abstract nachgelesen werden).

Die Nachfahren der im 11. Jahrhundert in Rumänien eingewanderten Roma, welche die Pest überlebten, haben diese Variante in ihrem Genom, die heute in Indien lebenden Roma haben sie nicht. (‘We identified several genes under evolutionary pressure in European / Romanian and Rroma / Gipsy [sic!] populations, but not in a Northwest Indian population, the geographic origin of the Rroma. Genes in the immune system were highly represented among those under strong evolutionary pressures in Europeans, and infections are likely to have played an important role.')

Diese Genvarianten sollen übrigens einerseits einen begrenzten Schutz gegen neuere Epidemien wie HIV bieten, andererseits aber Immunkrankheiten begünstigen. Aber das nur nebenbei, die Studie hat nämlich auch noch einen side effect.

Interessant ist das Ergebnis dieser Untersuchungen nicht nur im medizinischen Zusammenhang, sondern auch für die im deutschen Sprachraum unermüdlich geführte Debatte, wer denn nun ‘Roma’ genannt werden soll. Im ‘Standard’ las man jüngst wieder einmal: ‘Wer ist wann ein Rom beziehungsweise eine Romni? Welche Kontexte und Situationen erlauben eine ‘Ethnisierung’ von Personen? Anders gefragt: Wie kommen wir dazu zu glauben, dass es sich bei bestimmten Personen um Roma handelt könnte?’

Die Frage wäre einfach zu beantworten, wenn man akzeptiert, dass die Roma tausend Jahre nach ihrer Einwanderung in Europa noch ein Genom haben, das dem ihrer indischen Verwandten so deutlich ähnelt, dass der Vergleich in Hinsicht auf diese eine Genvariante möglich und sinnvoll ist, aber man muss heute natürlich sofort mit dem Rassismusvorwurf rechnen, wenn man irgendwie humangenetisch argumentiert.

Weniger einfach gestrickte Gegner werden zwar nur von ‘Biologismus’ sprechen (so nennt man die Überschätzung biologischer Fakten), aber auch das ist ein Vorwurf. Gene darf es politisch korrekt anscheinend nur in der Debatte um Gen-Mais, Gen-Soja, geklonte Rinder etc. geben, und dort sollen zumindest die Genmanipulationen immer ganz monströse Auswirkungen haben.