Der Wurm, der eine Schlange ist

/ Kurt Bracharz

Die deutsche Datensicherheitsfirma G-Data hat jüngst eine Malware entdeckt, die anscheinend schon seit drei Jahren in Windows-Rechnern von Behörden, Konzernen und Nachrichtendiensten ihr heimliches Unwesen treibt. Das Spionageprogramm ‘Uroburos’ sucht sich selbst seinen Weg durch LANs und infiziert somit auch miteinander vernetzte Computer, die dafür selbst gar nicht alle am Internet hängen müssen.

Als sogenanntes Rootkit versteckt sich Uroburos tief hinten in Windows und ist auch für Experten nur an seinen Auswirkungen zu erkennen, wenn man überhaupt erst einmal auf diese aufmerksam geworden ist. Nicht-Nerds können bei dieser Gelegenheit neue Ausdrücke lernen, die sich beim Fachsimpeln gut einsetzen lassen: Malware wie Uroburos wird Advanced Persistent Threads, also ‘Avancierte permanente Bedrohungen’ genannt.

Die Experten von G-Data vermuten einen russischen Ursprung bei Uroburos und halten ihn für eine Reaktion auf eine Cyberattacke gegen das US-Militär im Jahre 2008, weil Uroburos in vielen Details Ähnlichkeiten mit der Software jenes Angriffs zeigt. Uroburos erinnert natürlich auch an den Stuxnet-Wurm, der durch Übersteuerung der Uran-Zentrifugen das iranische Atomprogramm verlangsamte. Stuxnet wurde amerikanischen und israelischen Geheimdiensten zugeschrieben, die Entwicklung so komplexer Programme kann nicht vom Chaos Computer Club oder gar von einzelnen Hackern (und seien sie noch so genial) geleistet werden.

Interessant ist die Namensgebung, die man aus dem Quellcode von Uroburos herauslesen konnte. Die meisten Entwickler haben ja doch eher einen Hang zum Technoiden und würden einen Computerwurm eben ‘Stuxnet’ nennen und nicht einen Begriff aus der Mythologie verwenden. Der Ouroboros oder Uroboros, der ‘Schwanzverzehrer’, ist eine Schlange oder ein Drachen, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Er kommt schon in der altägyptischen Mythologie vor und wird später zum Beispiel von Platon im ‘Timaios’ erwähnt. Natürlich fand er auch in der Ikonographie der Alchemie und später in den Broschüren der populären Esoterik Verwendung.

Trotzdem ist der Name ‘Uroburos’ (sic! – jedenfalls nach der Schreibung in der Meldung aus der ‘Süddeutschen Zeitung’ vom 1. März 2014, auf welcher der vorliegende Text beruht) nicht gerade allgemein geläufig und populär. Sollte die Kryptographie-Abteilung des hinter dem Uroburos steckenden Geheimdienstes eines der letzten Refugien humanistisch Gebildeter sein? In der DDR lasen ja auch die Stasi-Leute zeitgenössische Literatur, zwar nur zwangsweise und keineswegs aus literarischem Interesse, aber immerhin – andere Berufsgruppen lasen gar nichts.

Es gibt aber auch eine andere Erklärung für die Wortwahl: Das siebente Studio-Album der japanischen Rockband Dir en grey hieß ‘Uroboros’. Es enthält übrigens auch einen russischen Titel, ‘Vinushka’. Vielleicht hat ja doch einem der Entwickler von Uroburos nur der CD-Titel so gut gefallen, und er weiß gar nichts von Altägypten, Platon oder dem Hellenismus?