Der Zipfel des Mantels des Herrgotts

/ Kurt Bracharz

Historisches Ereignis … Geschichte geschrieben … Solche Phrasen hat man am Abend des 27. September mehr als einmal in den Medien gehört oder gelesen. Hat es wirklich schon so weit heruntergeschneit, dass die Ergebnisse einer Landtagswahl, nach der die ÖVP trotz Verlusten immer noch die relativ stärkste Partei geblieben ist, für ein geschichtliches Ereignis im bedeutungsvollen Sinne des Wortes gehalten wird?

‘Geschichte’ im allgemeinen Sinn ist natürlich alles, was geschieht, also auch die Verdoppelung der FPÖ-Mandate in Oberösterreich, aber in die E-Lesebücher der kommenden Generationen wird dieses Geschehnis vermutlich keinen Eingang finden. Der Mantel der Geschichte bedeckt diese politische Blöße der Schwarzen und Roten nämlich nicht. Otto von Bismarck soll die Formulierung gebraucht haben, die später von Kohl aufgegriffen wurde, ‘da sah ich den Herrgott durch die Weltgeschichte schreiten und sprang zu, seines Mantels Zipfel zu ergreifen’.

Der oberösterreichische FPÖ-Wahlsieger Manfred Haimbuchner sagte hingegen, dass er das Wahlergebnis ‘mit Demut’ zur Kenntnis nehme, also keine Rede von Zipfel ergreifen. Bei den Wiener Wahlen sieht es ein kleines bisschen anders aus, wenn Strache Bürgermeister werden sollte, weht zwar auch da nicht gleich der Mantel der Geschichte (in den späteren Verwendungen der Metapher ist der Herrgott durch die personifizierte Geschichte ersetzt worden), aber ein Blaues Wien wäre nach dem Roten Wien schon ein für Österreich bemerkenswertes Phänomen. Außerhalb des Landes würde es aber kein besonderes Aufsehen erregen.

Welche Bedeutung Österreich zum Beispiel für Deutschland hat, wurde unlängst durch die deutsche Kanzlerin unfreiwillig demonstriert, in jener im Fernsehen gerne wiederholten Szene, in der Merkel ihre Papier zusammenpackte, sich vom Rednerpult abwandte und einen Abgang machte, bei welchem sie Faymann am zweiten Pult entdeckte, dessen Anwesenheit sie offensichtlich vergessen hatte, woraufhin sie den Rückwärtsgang einlegte.

Das lag nun nicht oder zumindest nicht allein am Anticharismatiker Faymann, sondern an einer verbreiteten deutschen Einschätzung der Ösis. Die zeigte sich in einem kleinen Detail auch an jenem Abend vor etwa vierzehn Tagen, als gegen 17 Uhr der Zugsverkehr von und nach Lindau kommentarlos eingestellt wurde – zwar nur für eine Nacht, aber völlig überraschend für doch einige Vorarlberger, die mit einem der späten Züge hatten zurückfahren wollen. Aber auch dieser Vorfall war nicht gerade ein historisches Ereignis.