Einen IS gibt’s schon seit 1902

/ Kurt Bracharz

Eine journalistische Glanzleistung ist der ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ am 27. November gelungen. Auf Seite 2 nannte ein ganzseitiger Artikel von Rainer Hermann den wichtigsten ‘Nährboden des Terrors’ und die permanente ‘Gefahr für den Weltfrieden’ beim Namen: Saudi-Arabien.

Der Autor erzählte die Geschichte des saudischen Wahhabismus recht detailliert, von der Gründung der ‘Islamischen Weltliga’ 1962 gegen Nassers profanen Arabischen Sozialismus über die Gründung des Rates der Höchsten Religionsgelehrten 1972 gegen die bis dahin allgemein als islamische Autorität verstandene Al-Azhar-Universität in Kairo und über die Konkurrenz zu Chomeinis schiitischer Revolution im Iran 1979 bis zum permanenten Export von Kämpfern nach Afghanistan, Kaschmir, Tschetschenien, Algerien und Bosnien sowie zum Bau von Moscheen, Koranschulen und sogenannten islamischen Kulturzentren weltweit (aber vor allem in Afrika und Europa). Der Wahhabismus ist eine extreme Form des fundamentalistischen Islams, aber in der Geschichte fanden sich zu jedem Extremismus welche, die ihn noch radikaler übertrumpfen wollten.

Der von reichen Saudis unterstützte IS hat der saudischen Monarchie den Krieg erklärt. Eine Art Präzedenzfall hatte es am 20. November 1979 gegeben, als vierhundert Anhänger des Predigers Dschuhaiman al Utaibi die Große Moschee von Mekka besetzen und zum Sturz des Königshauses aufriefen. Spätestens an dieser Stelle, ungefähr in der Mitte des FAZ-Artikels, stutzt der Leser, weil nicht – nicht einmal beiläufig – erwähnt wird, wer damals dem Putsch ein blutiges Ende gesetzt hat, nämlich ein zu Hilfe gerufenes Spezialkommando der französischen Polizei.

Das Heer der Saudis ist eine hochgerüstete Palastwache zum Schutz des Al-Saud-Clans, die im Bodenkampf gegen eine Invasion von wem auch immer keine Chance hätte. Die eigentliche Schutzmacht des Al-Saud-Clans sind seit dem Treffen Franklin Delano Roosevelts mit Ibn Saud im Februar 1945 die USA, deren wichtigste Politiker sich dann Jahrzehnte lang und auch während des Kampfes gegen den Al-Qaida-Terror des Saudis Osama bin Laden von den Saudis schmieren ließen.

Eine ‘journalistische Glanzleistung’ habe ich oben den FAZ-Artikel ironisch genannt, weil er das Naheverhältnis der US-Regierungen zum saudischen Königshaus mit keinem einzigen Wort erwähnt, in ihm kommen die Amerikaner nur als Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 vor. Die fünfzehn Hijacker der damals in die Gebäude gesteuerten Flugzeuge waren Saudis, was sonst. Und als letzthin am Tag nach dem Massaker in San Bernardino noch herumgerätselt wurde, ob das Ehepaar Syed Farook und Tashfeen Malik einen terroristischen Hintergrund hatte oder nicht, wäre diese Frage mit einem Hinweis auf ihr erstes persönliches Zusammentreffen in Saudi-Arabien eigentlich schon beantwortet gewesen.

Der deutsche Bundesnachrichtendienst warnte am 9. November im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Syrien vor Saudi-Arabiens ‘impulsiver Interventionspolitik’ und seiner destabilisierenden Rolle im gesamten arabischen Raum. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt, nämlich Mitte 2002, stand in einem Bericht des halboffiziellen US-Thinktanks ‘Defense Policy Board’, Saudi-Arabien stehe ‘im Mittelpunkt der Selbstzerstörung der arabischen Welt’, sei der ‘Hauptvektor der arabischen Krise sowie mit ihr zusammenhängender nach außen gerichteter Aggression’, und: ‘Die Saudis sind auf jedem Level der Terrorkette aktiv, als Planer wie als Finanziers, als Kader wie als Fußsoldaten, als Ideologen wie als Cheerleader.’ Daran hat sich bis heute nichts geändert.