Der seltsame Herr Handke

/ Kurt Bracharz

Ende Oktober ging eine Meldung durch die Zeitschriften, die mir nicht ganz informativ formuliert schien. Es hieß, die Zeitschrift „Ketzerbriefe“ habe ein Interview mit Peter Handke aus dem Jahre 2011 veröffentlicht, das er ihr in Paris – also wahrscheinlich an seinem Wohnort Chaville – gegeben hatte. Dieses Gespräch zum Thema Serbien und Srebrenica solle einige besondere Sottisen Handkes enthalten. Unklar war mir damals, ob das Interview nun in der neuesten Nummer der „Ketzerbriefe“ abgedruckt sein würde oder so man es sonst finden sollte. Handke hatte über den Suhrkamp Verlag dazu geäußert, dass er das Gespräch mit den „Ketzerbriefen“ „nicht gegengelesen und auch nicht autorisiert“ habe, aber: „Es entspricht nicht dem von mir Gemeinten. Für mich gilt das, was ich schriftlich festhalte. Dem habe ich nichts und dem wollte ich nichts hinzufügen.“ Handke bestreitet also nicht, das Gespräch geführt zu haben, ob er es nun autorisiert hat oder nicht.

Vor vielen Jahren habe ich die in Freiburg erscheinenden „Ketzerbriefe“ einigermaßen regelmäßig gelesen, weil sie sich damals als Zeitschrift für Freidenkertum nicht nur deklarierten, sondern das auch waren. Es gab lesenswerte Artikel über immer noch funktionierende oder wenigstens versuchte Zensurversuche der Großkirchen und auch der Parteien und über verwandte Themen. Die Lektüre eingestellt habe ich, als die „Ketzerbriefe“ regelmäßig immer seltsamer anmutende Beiträge zu den Vorgängen im zerfallenden Jugoslawien zu liefern begannen. Das ist mittlerweile auch lange her, ich habe die Zeitschrift aber immer wieder im Bahnhofskiosk in Lindau gesehen – die einzige Verkaufsstelle dafür in der Nähe, die mir bekannt ist.

Also versuchte ich die neue Nummer dort gleich einmal aufzutreiben. An einem Freitag sagte man mir, sie könnte eventuell noch am selben Tag geliefert werden, sicher aber am nächsten. Am Samstag erfuhr ich, dass die neuen Zeitungen wegen des Lindauer Jahrmarkts nicht auf die Insel gebracht wurden. Den Sonntag ließ ich aus, am Montag war immer noch nichts von den „Ketzerbriefen“ zu sehen und diesmal sagte man mir, man wisse auch nicht, ob sie überhaupt noch geliefert würden oder war aus ihnen geworden sei. Mittlerweile ist klar, dass die Nummer 169 der „Flaschenpost für unangepasste Gedanken“ (Untertitel) erschienen ist; warum ich sie nicht bekommen konnte, bleibt unklar. Aber das Interview war auch ins Netz gestellt worden, wo man es leicht googeln kann.

Wenn man es liest, erstaunt es einem schon, was ein Schriftsteller, der als einer der ganz wenigen in Österreich Literatur statt Unterhaltung erzeugt, verbal von sich geben kann. Das Gespräch liest sich wie eine Wirtshausunterhaltung, in der zwei eloquente Sprecher – Alexander Dorin und Peter Priskil – auf einen etwas unbedarften Dritten einreden, der eigentlich auf fast alles nur sagen kann, dass er nicht viel gesehen und wenig verstanden hat und seine Urteile auf dieser schwachen Basis beruhen. Relativ am besten ist er noch, wenn er unpolitische Stimmungsbilder liefert: „Ich habe sofort gespürt: Es herrscht eine große Trauer im Land - ich war damals in Belgrad -, eine Nachdenklichkeit. Die Oppositionellen, die ich besucht habe, vermochten mich nicht zu überzeugen. Es war eine düstere, unklare Atmosphäre. Dann bin ich mit dem Leiter des Goethe-Instituts in Jugoslawien und einem befreundeten Maler aus Salzburg durch Serbien gefahren, ohne irgend etwas zu wissen. Wir kamen auch nach Kragujevac, wo im Zweiten Weltkrieg das furchtbarste Massaker stattfand, und durch tief verschneite Landschaften bis an die Drina. Damals hatte ich nicht die Absicht gehabt, etwas zu schreiben. Es lag etwas Unbestimmtes in der Atmosphäre. Ich habe gesehen: da ist grammatikalisch, sprachlich, rhythmisch, farblich etwas ganz anderes, als die westlichen Medien erzählt haben; aber was heißt Erzählung - es war Demagogie. (…) Und dann… die Verlassenheit des serbischen Volkes. Wir wollten nach Bosnien, aber die Grenzposten haben uns nicht hinübergelassen. Ich habe auch die Trauer und die Wut in den Augen gesehen, überall. Auf der Rückfahrt war ich ganz allein mit meinem Salzburger Malerfreund. Serbien war total leer, eine große Kälte überall, nirgendwo war geheizt, auf den kaum befahrbaren Straßen nur Krähen und Raben und tote Hunde. So haben wir uns irgendwie bis Novi Sad durchgeschlagen. In Ungarn dann war alles anders: Es war geheizt und alles vorhanden, was man brauchte oder auch nicht brauchte. Und plötzlich habe ich gedacht: diesen Unterschied muss man erzählen. Zwei bis drei Wochen später habe ich mir vorgenommen zu erzählen, wie die Reise war.“ Das ist zwar reine Sentimentalität ohne irgendeinen Gedanken, aber es ist ja nicht schlecht geschrieben. Viel peinlicher Handke über die Mütter von Srebrenica: „Überhaupt, diese sogenannten ,Mütter von Srebrenica’: Denen glaube ich kein Wort, denen nehme ich die Trauer nicht ab. Wäre ich Mutter, ich trauerte alleine. Es gab die Mütter von Buenos Aires, sehr richtig, die hatten sich zusammengeschlossen und die Militärdiktatoren gefragt, was mit ihren Kindern geschehen ist. Aber diese billige Nachahmung ist scheußlich. Es gibt die Mütter von Buenos Aires, und das genügt.“

Ja, Peter Handke, auch zur Beurteilung ihrer politischen Kompetenz genügt das. Aber, um es noch einmal zu sagen: Mit dem Literaturnobelpreis hat das nichts zu tun.