Ein Hofnarr ist kein Clown

/ Kurt Bracharz

In dem in Wien erscheinenden Nachrichtenmagazin „Profil“ stand am 30. Juni dieses Jahres in einem Artikel über die Frage, welche Polit-Prominenz man trotz des Ibiza-Skandals als Ehrengäste zu den verschiedenen Festspielen einladen werde, der Satz: „Bregenz ist bekannt für überlange Operettenabende unter freiem Himmel.“ Das war vermutlich nicht ironisch gemeint, und eine Verwechslung mit den Seefestspielen in Mörbisch kann es auch nicht gewesen sein, weil diese ja ihr eigenes Kapitel in dem Artikel hatten. Da aber seit 2005 auf der Bregenzer Seebühne ausschließlich Opern aufgeführt wurden (und auch davor schon gar nicht so selten), muss man es wohl als Hinweis darauf nehmen, dass die Bregenzer Festspiele für das Wiener Kulturfeuilleton gerade noch am äußersten Tellerrand liegen, über den hinaus man gar nichts mehr sieht. Man hat das immer schon daran gesehen, dass es ab dem Eröffnungstag der Salzburger Festspiele für die Presse nur noch ein Thema gibt, nämlich die Salzburger Festspiele.

Was aber seit ein paar Saisonen in Bregenz weithin Wellen schlägt, ist der Triumph der Bühnentechnik auf der Seebühne. Es begann – wenn ich mich recht erinnere – einst mit einem mechanischen Stier in „Carmen“ und wurde von Jahr zu Jahr größer und größer und technisch ausgefeilter. Da gab es riesige Körperteile (ein einzelnes Auge, zwei Füße als Relikte einer Monumentalstatue, Spielkarten haltende Hände), ein Schach spielendes Skelett, alles natürlich in viel besserer Qualität als bei den Geisterbahnen, Spielhallen und sonstigen Etablissements in den Vergnügungsparks, woher diese Motive stammen.

Dieses Jahr kann man nun wirklich ohne Übertreibung den alten Jahrmarktspruch „Alles dreht sich, alles bewegt sich“ anbringen. Die technische Leistung ist sicher beachtlich, vor allem die Bewegungen der rechten Hand des Clowns sind spektakulär, und auch die Mimik des Holzkopfs ist differenzierter, als man vielleicht erwartet hatte. Das ganze Werkel birgt allerdings zwei Gefahren in sich: Erstens, dass es zu sehr von den Leistungen des Orchesters und dem Gesang – also der eigentlichen Oper – ablenkt, und zweitens, dass es jedes Jahr wieder übertroffen werden muss, um das an grelle Effekte gewohnte Publikum nicht zu enttäuschen – und das wird allmählich schwierig werden.

Die Kritiker waren sich dieses Mal einig, dass die musikalischen Leistungen brillant waren. Über das Bühnenbild haben sie sich eher beiläufig geäußert, allerdings kaum positiv. Fritz Jurmann schrieb auf der Webseite der „Kultur“: „Bregenz ist Zirkus! So sehr, dass die in den Jahren zuvor stets gerühmte Balance zwischen Amüsement und Anspruch diesmal in eine deutliche Schieflage gerät. Das Spektakel der vielen bunten Showelemente für den vermutlichen Großteil der Besucher, die noch nie ein Opernhaus von innen gesehen haben, dominiert insgesamt über Verdis hochkarätige Oper, die auch die Freunde dieses Genres befriedigt. (…) Giuseppe Verdi kämpft vor allem am Anfang, wenn man zunächst nicht weiß, wo man denn vor lauter Bewegungen überhaupt hinschauen soll, ums nackte Überleben seiner Musik. Das relativiert sich mit der Zeit, weil man in den Rhythmus der technischen Bewegungsabläufe auf der Bühne eintaucht und damit jene Zeit findet, die einem auch die Konzentration auf die Musik ermöglicht.“

Im „Standard“ schrieb Stefan Ender: „Welches Stück wird noch mal gespielt? Der ,Bajazzo’? Nein, ,Rigoletto’. Verdis Oper über den Außenseiter, den Underdog, der sich kraft seiner außergewöhnlichen Stellung als Hofnarr des weibernarrischen Herzogs von Mantua über den hochwohlgeborenen Adel erheben und diesen mit bösen Worten sekkieren darf. Blöd nur, dass Rigoletto in Philipp Stölzls Inszenierung in der quietschbunten Zirkustruppe nur einer unter vielen und sein Alleinstellungsmerkmal perdu ist. Es wäre ähnlich sinnvoll, die Bevölkerung von Brabant in einer ,Lohengrin’-Inszenierung allesamt als Gralsritter in Szene zu setzen.“ Unter den Postings zu diesem Artikel fand sich eines: „Post von Giuseppe Verdi an die Festspielleitung: Bitte lassen Sie meine schönsten Opern nicht durch verrückte Regisseure verhunzen, ich habe schon genug unter der österreichischen Zensur gelitten!“

Die Versetzung der „Rigoletto“-Handlung ins Zirkusmilieu ist nicht neu, aber wirklich unsinnig. Der Hofnarr eines Fürsten musste ein geschickter Politiker sein, wenn er überleben wollte, also ist er keinesfalls ein in der Manege über seine Schuhe stolpernder Zirkusclown.

Halbwegs sinnvoll würde diese Clownerie, wenn nächstes Jahr McDonald’s das Sponsoring übernimmt. Dann müsste sich halt Rigoletto als Ronald McDonald kleiden, und er könnte über seine eigenen Füße stolpern und in den See fallen. Der Applaus wäre ihm sicher, und in diesem Bühnenbild geht alles. (Nebenbei bemerkt: Meine Rechtschreibprüfung kennt Ronald McDonald, nicht aber Rigoletto. Ein weiteres Argument für diesen Clown.)