„Zigeuner, sehr gesittet“

/ Kurt Bracharz

Natalie Beer, Vorarlbergs aus Landesmitteln meistgeförderte Schriftstellerin, schrieb 1985 in einer Artikelserie in den „Vorarlberger Nachrichten“, die dann auch in dem Band „Thema Vorarlberg“ im Eugen-Ruß-Verlag 1987 zusammengefasst wurde:

„Nicht weit vom Dorf gelangte man in den Gräsalperwald. Man ging über die Viehweide zu den Ställen, wo die Bauern am Abend ihre zur Sömmerung eingestellten Kühe molken. […] Daneben interessierte uns die Feuerstelle, das schwarze Loch, wie wir es nannten. So lange sie abfärbte, schwärzten wir unsere Hände, um sie einander ins Gesicht zu streichen. Sobald die Zigeuner mit ihrem Plachenwagen wieder abgezogen waren, saßen wir im Kreis um diese Stelle. Vorher schauten wir, gut in Sträuchern verborgen, nach diesem seltsamen Volk. Da stand oder hing ein Dreifußkessel über dem Feuer, und eine dunkelhäutige Frau rührte darin. Die jüngeren Leute schnitten Weidenruten und flochten Körbe aller Art. Sie verzinnten auch die Kupferpfannen der Hausfrauen und klopften verbeultes Blechgeschirr aus. Die Mädchen verkauften Spitzen, und wir wunderten uns immer, dass sie nicht dunkel waren wie ihre Hände. Manchmal, wenn wir irgendwo im Hinterhalt lagerten, maulten die Weiber, hoben ein Scheit und drohten. Aber sie schreckten uns nur kurze Zeit. Uns interessierten besonders die in Lumpen gehüllten Kinder und vor allem die ,Karrenzieher Pia’. Auch sie ging schon in die Häuser, um kleine Flechtwaren zu verkaufen. Wenn wir im Chor ,Karrenzieher Pia’ schrien, drohte sie uns und streckte die Zunge heraus. Echte Zigeuner waren dies ja nicht, nur eben Fahrende, aus dem Tiroler Lechtal, sagte man. Echte Zigeuner, sehr gesittet, sah ich später in ihren blank geputzten Mercedes in der Camargue in Südfrankreich, wo sie sich von überall her zum Fest der ,Drei Marien’ trafen. Auch heute noch wird viel über die für uns geheimnisvollen Gestalten geschrieben.“

Die auffälligen Details, dass die „echten Zigeuner“ „sehr gesittet“ seien und „blank geputzte“ Autos hätten, sollten wohl dem Klischee vom kriminellen und schmutzigen Zigeuner widersprechen. Natalie Beer (1903 – 1987) dürfte diese Volksgruppe schon einmal mit anderen Augen gesehen haben, vor allem als sie während der NS-Zeit die Funktion der Gauabteilungsleiterin für Presse und Propaganda bei der NS-Frauenschaft in Innsbruck ausübte. Dass sie auch nach 1945 überzeugte Nationalsozialistin geblieben war, äußerte Beer bereitwillig in einem Interview vom 2. Juli 1983 mit dem damals für den ORF tätigen Michael Köhlmeier. Da dachte sie vielleicht zwei Jahre später, etwas Positives über die Roma sagen zu sollen.

Das Wort „Roma“ für die vorher „Zigeuner“ genannten Volksgruppen zu verwenden, wurde auf ihrem Weltkongress in Orpington bei London 1971 beschlossen und stieß damals nur bei dem 1952 gegründeten Verband deutscher Sinti auf Widerstand, weshalb es seither in Deutschland „Sinti und Roma“ und in Österreich „Roma und Sinti“ heißt. Roma ist die Mehrzahl des Romanes-Wortes rom für den Ehemann, die Frau heißt romni, und die verbreitete Meinung, „Roma“ bedeute „Menschen“, ist ein Irrtum, „Mensch“ heißt auf Romanes manouche.

Eher bizarr als vernünftig ist die Umschreibung der Roma-Zugehörigkeit als „aus dem Bettlermilieu“, wie sie heute in den VN gepflogen wird. Im Großen und Ganzen kommen die Roma in der Vorarlberger Presse zwar gar nicht vor, wahrscheinlich, weil die Journalisten fürchten, des Antiziganismus (müsste es nicht Antiromanismus heißen?) geziehen zu werden, wenn sie etwa eine Bemerkung über den Dornbirner Bahnhofsvorplatz fallen ließen, der hin und wieder einen pittoresken Anblick bietet, was daran liegt, dass die romnija nicht im Traum daran denken, etwas anzuziehen, in dem sie nicht auf den ersten Blick als Roma zu erkennen wären. Dieses Beharren auf Tradition müsste eigentlich unsere Völkischen beeindrucken, die nur bei Wahlveranstaltungen in Lederhose und Dirndl auftreten.

Bei Gewaltverbrechen wie dem Raubmord in Lindau und dem Raub in Alberschwende, bei dem das Opfer beinahe totgeschlagen wurde, sind verschleiernde Formulierungen wie „ein 37-jähriger rumänischer Bettler“ (Lindau) einfach lächerlich. Sie führen bei den Völkischen zur fixen Idee von der „Lügenpresse“, die ihren Lesern ein X für ein U vormacht, und bei Selbstdenkern zum Nachdenken über einen sinnlosen Versuch politischer Korrektheit. Auch den Provinzzeitungen ist es erlaubt und wäre es angemessen, die Dinge beim Namen zu nennen.