Vergesslichkeit

/ Haimo L. Handl

Schon der Wahlkampf des US-Milliardärs Trump traf auf ungläubiges Staunen; man tat so, als hätte es das noch nie gegeben. Aber Donald Trump gewann die Wahl und erstaunt weiter. Er, der faschistoide Rassist, Frauenhasser und -beleidiger, der Ungebildete, der Zampano der wilden Worte und Flüche, der öffentlich für Folter eintritt, wurde von einer Mehrheit gewählt, die den Nigger, den schwarzen Präsidenten sosehr hasst, dass sie endlich die Gelegenheit wahrnahm, gegen die Elite sich zu stemmen, als ob ein Niemand, ein Ihresgleichen, je hätte reich werden können wie dieser Parvenü.

Aber Trump ist keine voraussetzungslose Plötzlichkeit. Ihm gingen Entwicklungen voraus, als deren Resultat er jetzt triumphiert. Unsere Gesellschaften im Westen sind überaus vergesslich. Nicht nur hinsichtlich eigener Erlebnisse, sondern vor allem vermittelter Geschichtskenntnisse. Nach Jahrzehnten der pervers falschen Politik der Entwertung, zentraler Konzepte wie Aufwand, Kosten, Lernen, Können, Kritik, Innovation, Persönlichkeit oder Verantwortung, um nur ein paar stellvertretend zu nennen, haben sich die Massen eingelullt in die Euphemismensprache smarter Werbetexter und ungebildeter Kulturvermittler, suhlen sich als Opfer in einer allumfassenden Missbrauchsgesellschaft und glauben, was ihnen die Chefdeuter einbläuen: Gefühl statt Verstand, Bauch versus Kopf, und was alles daraus folgt. Ein Ergebnis ist das Postfaktische. Zwar gilt diese Dummheit, dieser Widersinn nicht allumfassend, weil sonst keine Wissenschaft, keine Technikentwicklung möglich wäre, aber die breite Masse ist infiziert und denkunfähig, schwach, weinerlich geworden, sozusagen disproportional zu ihren Rufen nach dem starken Mann als typisches Merkmal einer rückschrittlichen Horde.

Trump & Co sind auch eine Reaktion gegen die überzogenen Gleichheitskulte, die eine pseudolinke Bewegung allzu lange unkritisch feierte. Es rächt sich die systematische Entfernung von der Realität zugunsten des ‘Überbaus’. Es zeigt sich eine Verwandtschaft des Blökens rechtsgerichteter Rabiater mit den Klischees und Versatzstücken der vermeintlichen Feministinnen und Vertretern der gender politics. Das Geschwätz hat Überhand genommen und der Parvenü klatscht wie ein brüllender Pavian seine Horde ein.

1925 erschien das epochale Gedicht ‘The Hollow Men’ des Amerikaners T. S. Eliot, der Engländer geworden war. Es elektrisiert noch heute (hier die beiden ersten Strophen):

We are the hollow men
We are the stuffed men
Leaning together
Headpiece filled with straw. Alas!
Our dried voices, when
We whisper together
Are quiet and meaningless
As wind in dry grass
Or rats' feet over broken glass
In our dry cellar

Shape without form, shade without colour,
Paralysed force, gesture without motion;

Ohne Rückgrat kein aufrechter Gang. Unsere Gesellschaften sind amorph geworden, diffus, formlos: die wesentlichen Gründe unserer Misere.