Kunstersatz

/ Haimo L. Handl

In Zeiten der Krise wird in Ländern mit liberalen Elementen gerne die Kunst als letztes Refugium der Freiheit und besonderer, wenn nicht gar „ewiger“ Werte gesehen, sozusagen als Reservat einerseits und als modernes, museales Ausgedinge, das Realisten profan „Spielwiese“ nennen, als Ersatz eben für etwas, was die wirkliche Welt mit ihrer garstigen Politik verweigert.

Die zwar verständliche, aber völlig untaugliche Haltung zeigt sich jetzt nach dem Sieg der Rechtsextremen und Spießer in den USA, aber wir kennen sie auch bei uns. Einerseits liegt die Täuschtung in der Annahme, eine unfreie Gesellschaft könne sich eine freie Spielwiese leisten, die mehr ist als diese. Andererseits in der ungeheuren Überschätzung von Kunst und, was heute meist damit einhergeht, Intellektualität.

Letztere ist sogar ein ‘Killer’. Bei uns wird der Rechtsaußen, der aber jung und blauäugig grinsend als Präsidentscchaftskandidat mit ‘Gottes Hilfe’ auftritt, allein deshalb schon, vor allem auf dem Land, gewinnen, weil er gegen den verhassten Intellektuellen, den Professor steht, den man auf keinen Fall will, auch wenn er nie grün gewesen wäre. (Ich lass mich gern vom Gegenteil überraschen!)

Man kann sich auf fragen, was die Künstler denn so gesellschaftlich wertvoll Freies lieferten und warum sie damit all die Jahre, z. B. die Obama-Zeit, nicht jene Tiefenwirkunmgen erzielten, die dann in einem anderen Wahlverhalten sich geäußert hätten? Wie wirksam waren die Songs des bellenden Barden, die als so gut gesehen werden, dass die Skandinavier in völliger Verkenntnis von Literatur und ihren Werten ihm den Nobelpreis verliehen? Haben die Millionen von verzückten Hörern der überaus redundanten, stereotypen Songs von Cohen nur einfach auch ihre chice ‘Depress’ gepflegt, einen genehmen life style, oder hätte mehr Aufmerksamkeit, noch mehr Zirkus für Jeff Koons oder Damien Hirst geholfen? Oder aber war diese Pflege der ‘Wiederkehr des ewig Gleichen’ einfach zu hohl, zu inhaltsleer? Haben vielleicht die Ruhigen und die Lauten mit dazu beigetragen, dass es zwar künstlerisch und kulturell geschäftig zuging, aber immer im Rahmen des Kalküls, innerhalb der abgesteckten, oft hoch finanzierten Spielwiesen?

Die populären Medien erfüllen eine bedeutsame Dämpfer- und Filterfunktion. Das sogenannte „schlechte Programm“ erbringt eine überaus wichtige, soziale Leistung, ähnlich der Ventilfunktion der social media. Blickt man auf beide Bereiche, müsste man jede Illusion der Gewichtigkeit von Kunst (und Bildung) verloren haben.

Als ich kürzlich den jungen künstlerischen Leiter von „Wien Modern“ über das Festival reden hörte, entsprach er ganz den üblichen Regeln und Erwartungen eines gut geölten Kulturbetriebes. Wie wohltuend dagegen der frische Blick des „alten Mannes“ der Neuen Musik, Lothar Knessl, der trocken das Fehlen jeglicher Innovation feststellte und das Drehen im Kreis bedauerte. Es ist wie in der Politik: Der junge Blauäugige pflegt einen rückwärtsgewandten Blick ins Nationaldumpfe, während der ältere Professor zukunftsoffen europäisch sich orientiert, der junge, moderne Intendant erschöpft sich im Geschäftigen, während der Alte, Erfahrene das Karussell als das benennt, was es ist. Vielleicht lernen wir daraus.