Betroffenheitsempörung

/ Haimo L. Handl

Amatrice klagt Charlie Hebdo. Das bittere französische Satiremagazin hat es gewagt, die Erdbebenopfer zu karikieren. Die französische Botschaft ließ betreten sofort verlautbaren, dass dies absolut nicht die Meinung Frankreichs sei, als ob wer im ‘freien Westen’ annähme, dass alle Medien nur die approbierte Staatssicht verbreiteten. Die Erdbebenopfer empören sich stärker über die Satire, die sie, schmerzgebeutelt, nur als einseitige Opferhöhnung sehen, während sie sich duldsam oder knurrend den Segensgesten kirchlicher Vertreter beugen, alte Forderungen stereotyp wiederholen und die Mafia, die korrupte Bauwirtschaft, die Klientelpolitik des zynischen Staates so allgemein kritisieren, dass alles weitergehen kann, wie es seit Jahrzehnten läuft, was ihre Gebäude ja in höherer Zahl zum Einsturz brachte, den Schaden vertiefte, als jede nachträgliche Satire es vermöchte.

Aber das Symbolische bietet ein Ventil, die Wut darf opfergerecht und gesellschaftlich anerkannt ausgedrückt werden, am Besten auch am ‘Rechtsweg’, weil der in Sachen verringerter Medien- und Meinungsfreiheit eher Erfolg verspricht, als gerichtliches Vorgehen gegen säumige oder korrupte Politiker und Geschäftemacher. Die echte Verhöhnung weiter Teile der Bevölkerung, die gemeine, böse Verachtung, ist Teil der italienischen Wirklichkeit und Politik. Sie wird bei gewissen Katastrophen besonders deutlich. Da ist eine Ablenkung willkommen.

Wer ‘betroffen’ ist, braucht keinen weiteren Beleg, es reicht seine Rührung, seine Verletzung. Wer das traute Einvernehmen stört, wer ausschert, wird stigmatisiert, wie beim hochkultivierten Konzert der Schubertiade in Schwarzenberg, wo ein Besucher den Begeisterungschor unterbrach mit der Aufforderung, der Sänger möge Deutsch lernen, was von den feinen Damen und Herren, die doch aller Welt das hohe kulturelle Niveau, auch im Bregenzer Wald, demonstrieren, extrem verletzte. Sofort war klar, dass hier nicht eine Sprachforderung erklang, sondern nationalistische Urtöne sich äußerten, sofort bemühte sich der Sänger, mit Hilfe des kollaborierenden Publikums den Störenfried öffentlich zur Rede zu stellen, sofort war der Missetäter kategorisiert, und ein bemühter, typisch halbgebildeter Berufsbetroffener, der als Journalist der FAZ kulturbeflissen „berichtet“, kommentiert und wertet, verbreitete in seiner Zeitung, die seit einiger Zeit auch für Jauche und Meinungsbrei sich zuständig fühlt: „Plötzlich zerstört ein Befehl den Einklang im Konzert“.

Doch es war kein Befehl, es war kein dumpfer Nationalismus. Es war eine abweichende Meinungsäußerung. Aber in unserer so überaus kultivierten Welt gilt schon das Kundtun einer Abweichung als Sakrileg. Dabei ist es nicht jedermanns und jederfraus Sache, akzentgefärbtes Deutsch als Standard für den Vortrag deutschen oder deutschsprachigen Liedgutes hinzunehmen. Die Italiener oder Franzosen freuen sich ja auch nicht über Akzente in ihrer Sprache, dargeboten von Professionellen, für die strengere Regeln gelten als für Private. Der Opferkultjournalist vermochte die Sache über sein Medium ungut aufzublasen. Man stelle sich vor, diese dumme Haltung nähme zu und würde zur Regel. Eine falsche Eintracht, eine erzwungene Geschlossenheit wäre auch im Kulturbereich noch extremer die Regel und das Regime der verfolgenden, strafenden Gutmenschen triumphierte weiter.