Muatasproch

/ Haimo L. Handl

Das Deutsche ist eine junge Sprache. Sie ist auch dem Nationalerwachen, der Emanzipation und dem Widerstand gegen Adelige und die Fremdherrschaft Napoleons geschuldet. An den Höfen wurde Französisch parliert, und der Fleckenstaat Deutschland versuchte sich überregional über die gemeinsame Sprache zu finden und zu definieren. Nicht zuletzt die enorme Leistung der Bibelübersetzung Luthers hat zum Erstarken der deutschen Sprache beigetragen. Für eine gewisse Zeit wurde Deutsch sogar anerkannte Wissenschaftssprache.

Doch das ist lange her. Seit das Englische zur lingua franca wurde, hat sich das Sprachensterben extrem beschleunigt; der dem Sterben vorangehende Sprachverfall grassiert auch bei mittelstarken Sprachen. Der Abwertungsprozess der eigenen Sprache zugunsten des globalisierten und globalisierenden Englisch wird dabei von vielen Muttersprachlern in einem falsch verstandenen Modernismus kräftig befördert.

Diese Verlagerung, hier die Schwächung der Muttersprache, die zu kompliziert sei, die negativ als Korsett und Barriere gesehen wird, dort die globale lingua franca, die alle Tore öffne, vor allem die der Märkte, die einfach zu erlernen sei, ist Ausweis einer schwachen Kultur einerseits, die etwas huröse Orientierung auf erhöhte Marktchancen, leichtere Profitmaximierung andererseits. Es herrscht die Ökonomie, mit entsprechender opportuner (Rest)Kultur. Die Anbiederung an die Weltsprache Englisch entspricht einer Selbstaufgabe, einer Unterwerfung aus anscheinend vernünftigen Gründen des Marktes und der erhöhten Chancen, passe ich mich gleich der Globalsprache Englisch an.

Viele deutsche Großkonzerne haben Englisch als erste oder alleinige Firmensprache übernommen, in den Universitäten werden nicht nur Naturwissenschaften in Englisch unterrichtet, sondern auch Geisteswissenschaften. Warum auf deutsch publizieren und sich den möglichen Leserkreis noch kleiner halten, als er auch auf englisch ist? Warum sich Chancen minimieren, wenn im mehrsprachigen Europa der Union doch Englisch den Vorzug hat? Also gleich auf englisch Projekte einreichen, Wissenschaftspublikationen nur in Englisch publizieren. Man könnte oder sollte auch fragen, wie es um das Recht auf Muttersprache steht. Habe ich kein Recht mehr, auch an den Universitäten in der Muttersprache unterrichtet zu werden? Hat die Ökonomie mit ihrer Profitlogik Vorrang vor der Muttersprache? Muss ich mich dem Diktat der Fremdherrschaft beugen wie anno dazumal?

Das simpler und dürftiger werdende Deutsch der Massenmedien, auch der sogenannten Qualitätszeitungen, erscheint da wie eine Voreinübung im Wandlungsprozess. Wegen Verkäuflichkeit wird Einfachdeutsch geschrieben, stark angereichert mit Anglizismen. Das widerliche Manager- oder Imponierdeutsch wird so oft wiederholt, dass ihm kaum jemand auskommt. Der Vereinfachungsprozess scheint unerbittlich. Er steht im Gegensatz zur technologischen und technischen Entwicklung: während die Techniken ausgefeilter, präziser und komplexer werden, auch die Programme dazu, erfährt die Sprache eine penetrante Vereinfachung, weil das komplizierte Hochdeutsch zu umständlich, zu schwierig sei, eine Zumutung für die geistig und kulturell Depravierten, Zukurzgekommenen, Einfachen oder, wie man früher rücksichtsloser und offener sagte, Dummen.

Die Orientierung an diesen Dummen, den Unteren, den Schwachen führt zu einer Qualitätssenkung der Systeme, sei es Sprache, Kultur oder Wissenschaft. Aber auch Politik. Die Welt ist nicht einfach simpel, auch wenn die Werbung und die Politik uns das weismachen will. Der ‘easy way’, das ‘easy going’ ist ein Betrug und eine Täuschung. Leicht und unkompliziert ist z. B. ein grobes Messgerät mit nur drei Messbereichen Oben, Mitte und Unten. Je genauer und differenzierter die Messmöglichkeiten und ihre Anzeige, desto komplizierter. Obwohl viele komplizierte Daten über ihr Verhalten elektronisch aufzeichnen und auswerten, wollen sie eine ähnlich differenzierte Komplexität im Bereich des Geistigen, Sprachlichen nicht wahrhaben oder leisten. Da soll’s einfach und leicht zugehen. Aber gerade diese bornierte Haltung erleichtert die Vermessung und Verwaltung durch die Industrie und Behörden. Kleider, Einrichtungsgegenstände, Verkehrsmittel werden zu Datenkraken und Übermittler, Firmen werten aus und lenken. Und die Gelenkten sind noch dankbar und machen freiwillig mit. Pflegten sie eine eigene Sprache und Kultur, würden viele die neue Ausbeutungsformen eher durchschauen, wären nicht blind im Agieren, reduziert auf primitive Stimuli, sondern selbstbewusst, kritisch. The easy way ist der Schlüssel der Verwalter, der Herrscher, der Profiteure.