Biedermeier

/ Haimo L. Handl

Die Grünen wollen gerichtlich gegen Hasspostings vorgehen, insbesondere in den social media; Täter, die verleumden, beleidigen oder lügen sollen strafrechtlich belangt werden, so dass sie, im Rahmen der geltenden Gesetze, zahlen müssen bzw. sogar mit Freiheitsstrafen büßen. Die Meinungsfreiheit, bei uns nie wirklich prinzipiell anerkannt und in der Verfassung so verankert, dass ihre Freiheit gewährleistet ist, erscheint als Gefahr.

Weil sie ideologisch „missbraucht“ wird, muss man sie einschränken, muss man die Täter verfolgen, um die Opfer zu schützen. Nur, was ist z. B. „historische Wahrheit“, was Beleidigung? Um der politischen Auseinandersetzung sich zu entziehen, plädieren nun die Grünen, die sonst für Freiheit eintreten, für die Einschränkung der Freiheit, treten ein für Observanz und gerichtliche Verfolgung. Eine Rückkehr zum Polizeistaat im Erbe Metternichs, in Anlehnung an die Praxen der damaligen Sowjets, der Antifaschisten des Deutschen Arbeiter- und Bauernstaates, gleich orientiert, wenn auch noch nicht so umgesetzt wie heute die Zensur und Verfolgung in China oder Russland oder der Türkei.

Ehrenwerte Gründe sprechen dafür. Als die Charlie Hebdo-Affäre Aufsehen erregte, zeigte sich, dass bei uns volles Verständnis für die Beleidigtenkultur herrscht, und ein großer Teil von Journalisten, Künstlern und Politikern sich mit dem gros des Publikums eins wusste, dass es keine volle Meinungsfreiheit geben dürfe, weil Beleidigungen illegal seien. Grad, dass man die Mordtaten als Antworten auf die Beleidigungen damit nicht offen rechtfertigte; aber indirekt fand man Verständnis für die moslemischen, islamischen Opfer, die sich gegen die Ungläubigen wehren.

Schon früher, als Salman Rushdie mit einer Fatwa belegt wurde, zum Abschuss freigegeben von den iranischen Mullahs, rührte sich nur einiger Verbalprotest. Aber es gab keine überzeugende westliche Reaktion gegen diese mörderische Intoleranz. Im Gegenteil: Was beleidigt er denn (s)eine Religion?

In den USA schützt das First Amendment der Constitution die freie Meinungsäußerung. Das akzeptzieren dort auch die jüdischen Organisationen, die in anderen Ländern gerichtlich gegen Holocaustleugner vorgehen. In den USA erlaubt ihnen das die Verfassung nicht. Es geht nicht darum, ob damit die Meinungsäußerung wirklich frei ist, sondern, ob der Staat Sanktionen androhen darf oder gar umsetzt, wenn etwas geäußert wird, das nicht dem approbierten main stream entspricht. Es geht auch nicht darum, dass just in diesem Land der Freiheit das intensivste und umfassendste Ausspähprogramm läuft, das die verbrieften Rechte der eigenen Bürger verletzt, nicht zu sprechen vom Datendiebstahl in anderen Ländern, von Manipulationen und weltweiten Verfolgungen.

In Europa hat der der Kult der Opferkultur und die Angst vor Abweichungen dazu geführt, dass z. B. Großbritannien in eine Denunziations- und Verfolgungskultur geriet, die alte Freiheiten, die früher, vor einigen Jahren oder Jahrzehnten, selbstverständlich schienen, heute außer Kraft gesetzt. Alles im Namen der Freiheit und Sicherheit. Frankreich observiert streng, sieht seine Feinde vor allem im Ausland (IS) und verdeckt damit die hausgemachten Probleme der befremdlichen, eigenen Sozialkultur, der Nichtintegration, der angespannten, beschädigten Zivilgesellschaft, und musste nach den vielen Terrorakten doch erkennen, dass auch die Datenspeicherung (sogenannte Vorratsdaten) nicht halfen, Terror zu verhindern. Und der Präsident, eine Nichtpersönlichkeit, die Verkörperung des Angestelltentypen, hat nun die Chance „durchzugreifen“,. Stärke zu zeigen in der Erfüllung des Anti-Terror-Krieges; er organisiert eine neue Front gegen den IS und verknüpft das mit den Bütteldiensten für die Amerikaner und ihre Hegemonialpolitik. Dies nennt man dann „Friedenspolitik“. Das wird vielleicht den IS schwächen oder, falls die Russen in Syrien erfolgreich sein werden, auslöschen, zumindest militärisch, nicht aber die Probleme in Frankreich lösen, denn der Ausnahmezustand kann keine Dauereinrichtung sein, dann wäre er kein Ausnahmezustand, sondern reguläre politische Praxis eines strengen Polizeistaates.

Ähnliches zeigt sich in dem politisch darniederliegenden Belgien, wo es in Brüssel Stadtviertel gibt, die als Islamistenburgen bekannt sind, wo sich fast kein nichtmoslemischer Belgier hineintraut, wo eine Parallelkultur herrscht, die in ihrer Freiheit die andern fernhält, aussperrt. Integration?

Die neue Rechte in Deutschland stellt ein Problem dar. Aber mit Verfolgungen, wie sie bei uns die Grünen vorschlagen, würde man nicht weit kommen. Allerdings ist es besorgniserregend, wenn dort, wo gehandelt werden könnte, nichts geschieht. Es ist ein Unterschied, ob die AfD oder Pegida demonstrieren, oder ob ihre Anhänger rechtsverletzende Akte setzen. Wenn Journalisten überfallen werden, weil sie von diesen Demonstrationen berichten wollen, und die Polizei nicht reagiert, ist das aktive Beihilfe dieser rechten Bagage. Wenn Pegida-Anhänger Zufahrten zu Flüchtlingsquartieren mit ihren Fahrzeugen blockieren, und die Polizei lässt sie gewähren, ist das Beihilfe. Es braucht keine neuen speziellen Gesetze, um dagegen vorzugehen. Es reichten dafür die bestehenden aus. Weshalb werden sie nicht um- und durchgesetzt? Seit der NSU-Malaise muss einen ein Gefühl der Sorge und des Verdachts beschleichen, dass weite Teile der Staatsverwaltung, insbesondere der Sicherheitsorgane bis hin zum BND selbst politisch kriminalisiert und rechts infiziert sind. Das wird durch die Willkommenskultur und die breite öffentliche Anteilnahme zugunsten der Flüchtlinge nicht ausbilanziert.

Bei uns in Österreich ist das noch nicht so drastisch und extrem. Aber die Grünen signalisieren nun ein tiefliegendes Misstrauen gegen die Bevölkerung, gegen die freie Meinungsäußerung, und meinen, mit Gerichten Politik machen zu müssen. Eine Bankrotterklärung. Freiheit der Meinungsäußerung muss auch das Recht zur Kehrseite, zur Abweichung, zur Verletzung (Karikaturen!) beinhalten. Sonst wird sie nicht allgemein als Freiheit gelten dürfen, sondern als eingeschränktes Feld anerkannter „Werte“. Damit wäre aber heute kein Voltaire möglich.

Wir wissen, wohin die Metternichsche Polizeistaatpolitik führte. Wir kennen die Historien aus der UdSSR und DDR, um nur drei prominente Beispiele zu nennen. Wir kennen das Versagen dieser Haltungen. Und trotzdem plädieren die Grünen für Observanz und strafrechtliche Verfolgung. Viele zeigen sich entrüstet über die Zensur in der Türkei, die Verfolgungen und die uns als absurd erscheinenden Gerichtsverfahren gegen „unliebsame“ Journalisten. Aber die erfolgen alle im Geiste der Staatsräson, wie sie die Grünen formulieren. Es fängt immer klein und „vernünftig“ scheinend an. Sind einmal Grundsätze außer Kraft gesetzt, ist es aus mit der angestrebten Freiheit. Dass die Grünen in ihrer Verzweiflung und Inkompetenz sich dafür hergeben, ist mehr als trist.