Der Belligerent

/ Haimo L. Handl

Wolfgang Sofsky, ein deutscher Soziologe, der es seiner markigen Sprüche wegen zum Spezialisten für Gewalt gebracht hat und in deutschen Medien stark vertreten ist, trommelt in seinem Blog für den Krieg, die Politik der Stärke und dergleichen mehr. Dabei teilt er smart nach allen Regeln der Schmierenpresse aus. Seine Ausfälle werden aufgewertet durch einige Studien, die die Anhänger dankbar zitieren und so den Ruf des Professors, der gestylt wie ein Opa aus dem 19. Jahrhundert mit dunkler Brille, die die finsteren Züge, bestimmt durch die abwärtsweichenden Mundwinkel des dünnen, scharfen Mundes, noch hervorheben. Zwei Wölbungen über dem Nasenbein wären früher just von jenen, die er anspricht, in pseudowissenschaftlicher oder religiöser Manier à la Lavater, als Kainszeichen interpretiert worden, so dass dem Gewaltspezialisten anders entgegnet worden wäre, als ihm heute liebdienerisch begegnet wird; in der Gesellschaft der Un- und Halbgebildeten rangiert er, wie der Einäugige unter Blinden, als Experte und Kapazität, als Scharfzüngiger usw. usf.

Warum ich so breit das Bild eines Ungustiösen male? Weil dieser Herr Sofsky, Jahrgang 1952, in seinem Blog im Beitrag „Auf postheroischer Diplomatenfahrt“ Kanzlerin Merkel in einer Weise abkanzelt, die symptomatisch für diesen Belligerenten ist, einen Höhner und Schwätzer, einem US-Büttel. Er schreibt: „Frau Dr. Merkel, Pastorentochter und Wagner-Verehrerin, Parteimitglied, Parteijugendsekretärin und Freiheitskämpferin aus der siebten Reihe, hat es in ihrer unnachahmlichen Schlagfertigkeit gefallen, auf der Münchener Sicherheitskonferenz ihren Neigungspazifismus gegenüber dem großen Ostbruder aus ihrer Biographie zu begründen.“ So schreiben Professoren, um ihre Expertise unter die Massen zu bringen. In Wikipedia erfährt der Interessierte nichts Privates über Geburtstag, -Ort, sein Aufwachsen, wer seine Eltern waren oder sind. Es lassen sich über ihn also keine Sätze bilden, wie er sie über Merkel meisterhaft geschliffen verfasst: Pastorensohn?, James Last-Verehrer oder auch Beach Boys oder Mendelssohn-Bartholdy (in einem seiner Blogs erwähnte er diesen Komponisten) Parteimitglied oder wenigstens Pfadfinder? Vereinssekretär oder Eigenbrötler, einmal krank gewesen an „Neigungspazifismus“ (in Kaiserslautern!) oder gleich am Widerstand sich schulend während der Besatzungszeit? Aus der wievielten Reihe kommend? Wer war vor ihm, gegen wen musste er konkurrieren? Wie war seine Anhimmelung des Großen Bruders aus dem Westen, sozusagen als Gegenstück zu Merkels „großen Ostbruder“?

Man könnte, hätte man alle Mittel zur Hand, die den großen Medien zur Verfügung stehen, herausfinden, ob und wie oft er kiffte, herumhurte, Mädchen schlug, oder sonstwie als Halbstarker auffiel, was er später als beflissener Pflichterfüller kompensierte. Man könnte. Wir dürfen nur spekulieren, derweil, und uns an seine Texte halten, die schlimm genug sind.

Die Art, wie der Herr Professor so en passant einstreut, „Pastorentochter und Wagner-Verehrerin“, ist schon sehr gekonnt und kommt sicher an. Das schreit direkt nach einer Entsprechung für den Sofsky, um seine Gewaltorientierung, seine Gewaltbereitschaft, seine Kriegsfreudigkeit (alles deutsche Tugenden!) ins rechte Licht zu rücken.

Auch und besonders wenn er KZ und Holocaust-Ereignisse beschreibt, bleibt er nicht nur „nah dran“, sondern springt hinein ins Grauslige, ins Grausame, wie ein Dante der Neuzeit, allerdings zugeschnitten in holpriger und schmalziger Prosa fürs Massenpublikum. Er operiert wie jene Moralaposteljournalisten, die früher entrüstet, aber „aufklärend“ über Obszönitäten und Pornografie schrieben, um genüsslich die verbotenen bösen Bilder zu zeigen, die schlimmen teuflischen Handlungen zu beschreiben, die das lüsterne brave Publikum reizten und begeisterten. Man kennt das aus den Tagen von Neue Illustrierte, Quick und anderen Organen des schmierigen Illustriertengewerbes. So stellt er nicht nur wie ein Historiker trocken dar, sondern schwelgt als Gewaltspezialist in seiner „dichten Beschreibung“ der Gewalt, er badet darin, suhlt sich, und kaschiert das als wissenschaftliche Leistung des Aufdeckens und Erklärens.

Nicht alle zogen da mit. Auch in Deutschland gab es Kritik, wenn auch selten. Zu den Wenigen, die sich von Sofsky nicht täuschen ließen, gehört Harald Welzer, der im MERKUR sein Buch „Die Ordnung des Terrors.“ scharf kritiserte, ganz anders als der bekannte Historiker Wolfgang Benz, der lobend resümierte: „Das ist Sofsky auf atemberaubende Weise gelungen: Im schlichten Gewand der akademischen Untersuchung, beschränkt auf ein zentrales Thema, hat er ein Buch geschrieben, das unsere Kenntnis vom Wesen menschlicher Natur, der Organisation von Herrschaft, der Ausübung von Gewalt wesentlich bereichert.“

Welzers Schlusssatz seiner Rezension, in der auch die Publikationen von James E. Young, „Beschreiben des Holocaust“ und Zygmunt Bauman, „Dialektik der Ordnung“ besprochen wurden, nüchtern: „Sofskys Buch dagegen ist hermetisch – und dumm darin, dass es distanzlos in dem Grauen verweilt, das es zu beschreiben vorgibt.“ (MERKUR 1994/1 Nr. 538)

Autoren wie Sofsky müssen genau gelesen werden. Nimmt man seinen Artikel im FOCUS „Ein Zwischenruf von Wolfgang Sofsky. Nur Hochmut und Heuchelei“ (15.12.2014) zur Lektüre, belegt sich das Bild vom amerikanischen Büttel, der den Großen Bruder mit winkeladvokatischen Argumenten zu schützen versucht, eine einzige Peinlichkeit, die weit hinter das zurückfällt, was an eigener, amerikanischer Kritik zum Foltergeist und zur Folterpraxis der USA publiziert wurde in Büchern und Artikeln (nicht nur in radikalen Magazinen wie COUNTERPUNCH, sondern auch anderen wie THE NATION, THE NEW REPUBLIC oder THE NEW YORK REVIEW OF BOOKS).

Sofsky ist typisch für eine Schicht von Gewaltrationalisten und Kollaborateuren der Macht, wie sie derzeit in fast jedem Lager Auftrieb erhalten. Es ist wieder chic geworden für „law and order and war“ zu sein, besonders für Krieg.