Back to the U.S.S.R.

/ Haimo L. Handl

Der Titel hieß 1968 korrekt „Back in the U.S.S.R“ und eröffnete das sogenannte „Weiße Album“ der Doppel-LP „The Beatles“. Der Titel irritierte damals einige aufrechte Amerikaner, die ihn kommunistenfreundlich fanden. Heute indiziert er, wie ich ihn hier schreibe, die stereotype Sicht des Westens vom bösen Feind, der keine allgemeinen, anerkannten Regeln beachtet, sie bricht, und eine Kriegsgefahr darstellt, während der tapfere Westen unter Führung der Leitmacht verzweifelt versucht, der Welt nicht nur Demokratie (bei)zu bringen, sondern auch selbstaufopfernd bedrängten Ländern Hilfe leistet, derzeit der Ukraine, die vom neostalinistischen Neozar Putin bekriegt wird.

In einer telegenen Rollenaufteilung flog auch nicht Obama, der Friedensbringer, nach Moskau, sondern die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande, um die „letzte Chance“ für den Frieden wahrzunehmen. Zufällig findet in München die 51. Sicherheitskonferenz statt (5.-8.2.2015), wohin aber, wie in einem feinen Gegenspiel, Putin nicht reiste, jedoch sein Außenminister Lawrow.

Die Ukraine-Krise beherrschte das Thema und eignete sich auch bestens für die Darlegung der Marschroute, wie sie die USA vorgeben; der Druck auf die Europäer wird verstärkt, die amerikanischen Interessen direkter und besser umzusetzen. Merkel wird für ihr Nein zu Waffenlieferungen ins Krisengebiet gerügt, es wird Aufrüstung (und Krieg) gefordert. Noch ist der Ton, her Masters Voice, konzilliant. Aber die Rösser scharren, die USA wollen endlich „action“, wie in all den anderen Kriegen auch, die auf ihr und ihrer Verbündeter Konto gehen.

Die anderen Krisen wurden da etwas in den Hintergrund gerückt. Schon seit je im Hintergrund bzw. überhaupt tabuisiert sind jene politischen, militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die den Boden der meisten dieser Krisen aufbereiteten, vor allem im Nahen Osten. Es wurden ja nicht nur größenwahnsinnige Großmachtvisionen des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy „exekutiert“ im Verein mit dem Bemühen von Mr. Cameron, dem heruntergewirtschafteten Großbritannien endlich wieder mal den ihm gebührenden Platz an der Sonne zu beschaffen und zu sichern, wozu Kriegspolitik, wie die Geschichte lehrt, allemal taugt, sondern die Bahnen für die westliche, das heißt amerikanische Hegemonialpolitik gelegt. Nun, es wurde nicht nur Gaddafi ermordet, sondern Libyen zerstört. Die offenen Waffenlager speisten dann die Bestände just jener Kräfte, die jetzt marodierend, massakrierend, vernichtend ihre eigenen Kriege in den Regionen führen. Man kann also sagen, die Europäer und Amerikaner waren Geburtshelfer und Unterstützer jener Mörder, die sie jetzt als Terroristen auf ihren Feindeslisten führen. Schöner Trost für die vielen Tausenden von Opfern, die in der Zwischenzeit „zahlen“ mussten. Das Entstehen der größten, reichsten und bislang erfolgreichsten Terrororganisation, des IS, geht direkt auf die Syrienpolitik der USA und ihrer Verbündeten zurück. Dieses Engagement, wie jenes im Irak oder in Afghanistan, ist nicht einfach eine Art von Kanonenpolitik, wie man sie aus den Hollywoodfilmen kennt, sondern Ausdruck des politischen Selbstverständnisses der USA, ihres American exceptionalism.

Während Israel als Staat der Juden seine Suprematie militärisch in der Region festigte und eisern verteidigt, vermochte es, im Licht und Schatten der Schutzmacht, „geistig“, also kulturell, weltweit seine Wertvorstellungen durchdringend aufzustellen, was natürlich der Leitmacht und ihren „westlichen Werten“ entgegenkommt bzw. ganz „natürlich“ zusammenwirkt. Der Erfolg des jahrzehntelangen brain washings kann nicht zuletzt darin gesehen werden, dass dieser Exzeptionalimus von den europäischen Partnern und Verbündeten offiziell nicht hinterfragt, sondern willig unterstützt wird, inoffiziell nur indirekt befragt, nie aber öffentlich mit Breitenwirkung debattiert wird, weil das als „Antiamerikanismus“ sofort geahndet würde, ein Verbrechen ähnlich dem „Antisemitismus“, dessen Anschuldigung als Keulenargument fast jeden erledigt, der in Feindeslinie gerät.

Während Russland vorgeworfen wird, dass es die territoriale Integrität souveräner Staaten nicht respektiere, Menschenrechte verletzte usw. usf., sprechen die Verbündeten so, als ob die USA Menschenrechte beachteten, Verträge einhielten und die territoriale Integrität anderer Staaten respektierten. Niemand wird rot, wenn er weiter lügt und in einer eigentümlichen Newspeak den bösen, unmenschlichen Krieg der anderen von den westlichen „Humaninterventionen“ unterscheidet. Dass es Einflusssphären gäbe oder geben solle, wird als mit der Souveränität unvereinbar hingestellt. Das mag theoretisch schon so sein. Aber praktisch war es nie so, und wird es nie so sein. Doch dieses verlogene Kredo wird mantrahaft von den halb- und ungebildeten Spitzenkräften westlicher Politik und ihren medialen Lakaien heruntergebetet. Haben die USA die Souveränität Kubas respektiert, als es mit der USSR ein Raketenstationierungsabkommen schloss? Nein, der huröse Sunnyboy aus dem White House, JFK, ließ es auf einen Atomkrieg ankommen, und gewann. Seine Drohung war glaubhaft, weil die USA ja als bislang einziger Staat diese Massenvernichtungswaffen zweimal erfolgreich eingesetzt haben. Zu Friedenszwecken. (Damals wurde dieser Einsatz noch nicht „Humanintervention“ genannt.)

Welche andere Souveränität wurde respektiert, wenn es um Amerikas Sonderinteressen entsprechend ihrer Sonderstellung ging? Die USA, die als Weltpolizist hier, als Menschenrechtsanwalt dort auftreten, verletzen permanent und eklatant Menschenrechte und Bürgerrechte. Sie behandeln ihre sogenannten Bündnispartner und „Freunde“ wie Feinde, bespähen sie, horchen sie aus, halten sie unter Kontrolle, mischen sich in innere Angelegenheiten ein.

Trotzdem berufen sich die Partner auf die hehren Rechte, die mit Hilfe eben dieser kriegsführenden Nation mit Sonderstellung gesichert werden sollen. Der Bock als Gärtner, Mephisto als Gutmensch. Seit wann soll ein Gangster, ein Vergewaltiger, ein Krieger, Betrüger und Schnüffler als Hilfe dagegen wirken, was er selbst als Dauerprogramm erfolgreich leistet? Seit wir, sozusagen „re-educated“ nicht nur in Newspeak reden, sondern auch entsprechend kurzdenken. Und vergesslich sind, außer in jenen Bereichen, die dem Exceptionalism der Leitmacht und einiger ihrer Verbündeten dienen.

An Putin und Russland gibt es viel auszusetzen. Aber die Qualität von Politiken darf nicht zum alleinigen Beurteilungsmaßstab hergenommen werden. Da müssen schon die direkten und weiteren Kontextfaktoren berücksichtigt werden. Auch wenn Putin die freie Presse ausschaltete (wie frei kann sie in Ländern sein, in denen die NSA oder ihr britisches Gegenüber so erfolgreich arbeiten?!), die russische Zivilgesellschaft niederhält, ändert das nichts an den Rationalen der russischen Außenpolitik. Ein bisschen Geschichtsverständnis im Westen würde auch helfen, vor allem, wenn es in die offizielle Politik über das Niveau der Gedenkveranstaltungen hinauf führte. Man würde dann vielleicht nicht nur die alte Teilung verstehen, die regionalen Interessen, wie sie auf alten Erbschaften basieren, sondern auch die gegenwärtigen Klitterungen und Deutungsansprüche der „Sieger“, die par tout ihre Sicht als allein gültige durchdrücken wollen, nicht nur theoretisch. Hierin vereint sich ein fehlverstehendes Europa mit seinem Meister: es will auch seine kleine, europäische Version von Exceptionalism haben, und leckt dafür dankbar die polierten Schuhe der Charming Boys from the West.

Um es kurz zu sagen: Die amerikanischen Vorgaben für eine Kriegspolitik gegen Russland sind falsch, sollen nicht unterstützt werden. Die Kriegspolitiken im Nahen und Mittleren Osten sind fatal und sollen nicht weiter unterstützt werden. Die Bekämpfung des IS muss nach transparenten Regeln erfolgen., Die NATO gehört aufgelöst. Europa soll sich emanzipieren und, wenn es will, selber verteidigen. Aber der Begriff „Verteidigung“ müsste debattiert werden, nicht nur als falsches Etikett einer trainierten Newspeak verdecken und täuschen. Wetten, dass in diesen Fragen kein souveräner europäischer Staat souverän gegen die Leitmacht auftritt?