Die Scheinheiligen

/ Haimo L. Handl

Den Wiener Demonstranten bzw. den Demonstranten in Wien gegen den Akademikerball ging es um eine Verhinderungsaktion. Ihr Ziel war die Verunmöglichung eines Balls von Angehörigen, die für sie einen politischen Feind darstellen, Abschaum, Unmenschen. Für einen harten Kern ging und geht es aber um Aktion, um Randale. Dass gewisse „Demonstrationen“ verboten wurden, nachdem Gewaltandrohungen öffentlich bekannt geworden waren, war nur richtig. Auch das Demonstrationsrecht ist nicht absolut. Das könnte man anders nur dann sehen, wenn man bei Gewaltausbrüchen extrem hart und extrem schnell vorgeht, die Täter fasst und vor Gericht stellt.

Das nächste Problem wäre dann aber, dass ein Teil der Bevölkerung einen derart tiefen Hass gegen gewisse Staatseinrichtungen hat, dass ein hartes Vorgehen der Polizei gegen solche Gruppen, das immer auch „Unschuldige“ träfe, leicht für eine Gewalteskalation, einen Aufruhr oder ähnlichem instrumentalisierbar wäre. Offensichtlich sehen viele die Gewalt von Randalierern als demokratischen Ausweis, den Kleinkrieg gegen verhasste Andere als notwendige, politische Tat.

Ginge es „nur“ um Demonstration, um freie Meinungsäußerung bzw. politische Willenskundgebung, gäbe es kein Aufsehen, kein weiteres Problem. Aber gewisse Leute nennen andere pauschal Faschisten und wollen sich als aktive Antifaschisten unter Beweis stellen. Das verlangt nach mehr als nur Meinungsäußerung.

Vor kurzem zeigten Islamisten in Frankreich, dass es für gute, besorgte Gläubige nicht genügt, ihre Opposition GEGEN oder ihre Wünsche und Forderungen FÜR zu äußern, sondern zu handeln ist: konkret, praktisch, „nachhaltig“. Lasst Taten sprechen! Es genügt nicht, dass die eigenen Leute gewisse Sachen nicht lesen. Es müssen auch andere daran gehindert werden. Es genügt nicht, dass Gute empört gegen schweinische oder frauenverletzende Kunst sich wenden. Sie darf nicht mehr gezeigt werden. Es muss „praktische“ Politik gemacht werden.

Nun, die Demonstranten in Wien sind noch nicht so radikal und gefestigt wie einige ihrer Vorbilder. Sie belassen es derweil bei Verhinderungsversuchen. Die Sache und Situation zeigen aber an, wie eindimensional das politische Verständnis ist, wie undemokratisch die Zielsetzungen, wie frech und anmaßend die Ausgangslage.

Als Antifaschisten nutzen Rädelsführer und willige Mitläufer Strategien, Taktiken und Methoden, wie sie von faschistischen Rollkommandos bekannt sind. Man sagt nicht nur seine Meinung, sondern man jagt den Gegner, man spricht ihm Rechte ab, die jeder im Staat hat, z. B. das Recht der freien Versammlung. Die Versammlung, um die es geht, war zudem keine unter freiem Himmel, keine Kundgebung, sondern ein Ball in einem Gebäude, also nicht einmal offener, öffentlicher Raum. Als dünnes Argument dient gewissen Gutmenschen, dass es sich um Böse handele, nämlich Rechte, Rechtsextreme oder Neofaschisten. (Weshalb sind die Opernballbesucher gegenwärtig nicht mehr Ziel solcher Angriffe? Hatte doch eine Tradition in Wien…)

Viele vermeintlich demokratisch Gesinnte folgen dieser kruden Sicht. Und wenn es Rechtsextreme wären, dürfte ihr Ball nicht verhindert werden. Ließe man das zu, müssten wir morgen zulassen, dass diverse Partikularinteressen selbstherrlich exekutiert werden.

Bestimmte Gruppen würden dafür sorgen, dass gewisse Religiöse sich nicht treffen, sie würden Jagden veranstalten auf jene, die zu gegnerischen Veranstaltungen gingen usw. Im nächsten Schritt würden deren Medien vernichtet oder beeinträchtigt werden. Weil das wegen der social media nicht mehr so gut läuft, wie damals gegen Springer, würden sie, wie jetzt die Islamisten es vorexerzieren, die Täter selber fassen und töten. Dann legten sie Bomben gegen kollaborierende Firmen. Ein Horrorszenario? Nur weil es vorderhand bei uns noch nicht so extrem ist, darf man den Kern dieser Gewaltbereitschaft, die freche Anmaßung, den „Ungläubigen“, den vom rechten Weg Abgekommenen (Achtung: Für jene, die nur die Ausbildung unseres Verbildungssystem genossen haben, was für weite Teile entsprechend ihrem perversen Demokratieverständnis anzunehmen ist, ein Hinweis: Hier wird ein Sprichwort eingesetzt das in der Realität zu übersetzen ist; ebenso gelten für den Begriff „Ungläubige“ mehrere Bedeutungsfelder) nicht nur „zuzusprechen“, sondern konkret zuzutun. Man züchtigt sie und eliminiert den „Stein des Anstoßes“. Also werden Bibliotheken gereinigt, Ausstellungen geschlossen, Bücher verbrannt, Bilder zerkratzt, Filmaufführungen verhindert und dergleichen. Und wenn dieser Druck nicht genügt, dann: „Ich bin nicht Charlie!“

Dass dieses Programm gleich jenem der faschistischen Horden ist, die sich daran stoßen, dass in der Nachbarschaft „Ungeziefer“ haust, Roma und Sinti, die man vertreiben muss, scheint in die Köpfe gewisser Gutmenschen bei uns nicht reinzukommen. Sie sind dankbar für den vermeintlichen Anlass und demonstrieren und randalieren. Und was morgen?

Was, wenn aus moralischen oder religiösen bzw. ideologischen Gründen gegen Homosexuelle demonstriert wird? Wenn der Song Contest in Wien „gestört“ wird, weil er eine Kultur repräsentiert, die diesen Guten unannehmbar und verhasst ist? Was, wenn es nicht nur bei der „freien Meinungsäußerungen“ bleibt, wie damals gegen die Wurst, als Konservative und Ost und West sich gegen die Perversion empörten, sondern die Empörung, der Hass, die Wut, in die Sprache der Tat übersetzt wird?