Kurz gefasst – kurzgefasst

/ Haimo L. Handl

Dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, Jahrgang 1986, dem jüngsten in der Riege seiner Kolleginnen und Kollegen, wird, wie allen Jungen, Dynamik und Offenheit zugesprochen. Fast automatisch. Er, der nach 13 Semestern sein Rechtsstudium noch nicht abgeschlossen hat, will es, wenn er wieder Zeit dafür hat, doch noch absolvieren. In der Zwischenzeit setzt er seine junge Arbeit unter dem Slogan „Die Arbeit hat erst begonnen: Politik anders machen“ als erfolgreicher Aufsteiger der Volkspartei, die zwar viele Akademiker, aber keine Ideen und Visionen hat, fort.

Aber in einem sensiblen Aspekt der Integrationspolitik, wegen der er als Staatssekretär 2011 in die Regierung gerufen worden war, und die er unter dem Motto „Integration durch Leistung“ startete, greift er zu kurz, nämlich durch Rückgriff auf alte, obsolete Modelle der Kontrolle, wie sie einer offenen Republik unwürdig und untauglich sind. Sein Vorschlag, über eine Neufassung des Islam-Gesetzes auf eine einheitliche Übersetzung des Korans zu setzen, zeigt die panische Hilflosigkeit der Regierung, die auch vom jungen Integrationsminister vertreten wird. Der Vorschlag widerspiegelt, ähnlich den Ausgangsüberlegungen der Genderforschung und –politik , die Auffassung, dass über Sprachregelung und –lenkung gesellschaftspolitische Änderungen erwirkt werden können. Vom Überbau auf die Basis, hätte man früher gesagt.

„Es gibt unzählige Übersetzungen, unzählige Interpretationen“ des Korans, meint Kurz, worin „viele Worte falsch interpretiert und wiedergegeben werden“ (So in einer Aussage am 20.9.2014.) Es gehe um die „Vermeidung von Fehlinterpretationen“. Aber Interpretationen vorschreiben bedingt eine Deutungshoheit hier, eine strenge Kontrolle und Sanktionen gegen Verletzungen dort. In keiner freien Republik oder Demokratie existieren solche Vorgaben. Sie sind Instrumente von Diktaturen, wo Abweichungen von Deutungen offiziell, gesetzlich geahndet werden. Schaut so das junge, dynamische Weltbild aus? In Österreich schon. Sebastian Kurz fasst sich kurz und liefert eine Kurzfassung, die zu kurz gefasst ist.

Dieses Kurzdenken, ähnlich der Kurzsprech, womit nicht Kurzens Sprache gemeint ist, sondern jene Art Newspeak, die als Kurzsprech dem Kurzdenk entspricht, simplifiziert zu sehr, greift eben zu kurz. So irritierend kurzgefasst ist im besagten Islamgesetz die vorgesehene Änderung, wonach islamische Religionsgesellschaften in Österreich nicht mehr vom Ausland finanziert werden dürfen. Damit will man vor allem die Bestellung von vom Ausland (Türkei) finanzierten Imamen verhindern. Dieses Konzept, von Sebastian Kurz und Josef Ostermayer vorgestellt, enthält auch die Regel, dass künftig es nur anerkannten Religionsgemeinschaften erlaubt sein soll, religiöse Lehren zu verbreiten.

Man stelle sich vor, ähnliche Maßnahmen träfen die Israelitische Kultusgemeinde, die sich ja auch nicht nur aus eigenen österreichischen Mitteln finanziert. Dort gelten aber andere Regeln. Und hinsichtlich des eigentlich Religiösen: Wer kontrolliert die Rabbiner? Gibt es approbierte Übersetzungen, die verbindlich interpretiert werden müssen? O je, o je!

(Als Putin in seinem russischen Reich ein Gesetz erließ, das die Finanzierung von NGOs aus dem Ausland verbot, gab es im Westen einen Aufschrei. In der österreichischen kurzgefassten Perspektive entdeckt niemand Parallelen und Nachbarschaften.)

Ein Fortschritt in die offene Gesellschaft? Nein, einer in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (Popper), mit Maßnahmen, die Feinde unter Kontrolle zu halten, also ein Weg ins Gegenteil, in die „Geschlossene Gesellschaft“ (Sartre).