Wenn’s um die Wurst geht

/ Haimo L. Handl

Gewisse Formen der Populärkultur geraten nicht über meine Aufmerksamkeitsschwelle. So kenne ich keine der Produktionen zum Eurovisions Song Contest, und werde mir die Übertragungen auch nicht ansehen. Trotzdem geriet der ESC in mein Wahrnehmungsfeld, nicht, weil ich plötzlich am blöd-nationalistischen Spiel mitzumachen wünschte, sondern, weil als herrschende Kulturäußerung ich von grässlich homophoben Ausfällen las, insbesondere eines nationalistischen russischen Saubermanns, der sich gegen Homosexuelle und Transgender-Personen richtet und eine regelrechte Kampagne gegen die österreichische Teilnehmerin im Internet durchzog.

In Österreich gesellte sich zu diesen ungustiösen Ausfällen nicht nur die heimattreue, prüde, saubere rechte Seite, sondern ein sich als Kabarettist verstehender Künstler, Alf Poier genannt, der Conchita Wurst ein „künstlich hochgezüchtetes Monster“ nannte und öffentlich den Ratschlag gab „Wenn jemand nicht weiß, ob er ein Manderl oder ein Weiberl ist, dann gehört er eher zum Psychotherapeuten als zum Songcontest.“ Österreichische, sanftere Version der Homophobie, wie sie uns viele Russen viel ungeschminkter, offener, brutaler unter Beweis stellen. Poier, der sicher weiß, was er ist, auch geschlechtlich, weiß wahrscheinlich aber nicht um seine Rolle als dummer Spießer, der, halbgebildet, wahrscheinlich nur deshalb solchen Erfolg hat, weil sein Publikum noch dümmer ist als er. Er vertritt den petit bourgeois, dessen unbedarfte Visage fratzig wird, wenn die dünne Haut der Kultur als Maske reißt, und das entblößt, wovor wir uns fürchten müssen, wenn es rabiat wird.

Bestimmte Sichten und Worte scheinen wieder en vogue zu werden. Monster, zum Beispiel. Kürzlich gab ja die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff öffentlich kund, dass sie künstlich gezeugte Kinder als Monster sieht. Nun, Frau Lewitscharoff ist weder dumm, wie Poier, noch so spießig wie er. Aber beide vertreten eine Monstersicht. Rechnet man noch die östlichen Homophoben hinzu und die moslemischen, dann kann einem angst und bange werden.

Welche Sehnsucht nach dem Normalen als Gesichertem, Ordentlichem speist nicht nur Angst und Sorge, sondern auch Aversion und Abwehr, die leicht und oft eine Vorstufe für entsprechendes Handeln werden, zur konkreten Verfolgung? Natürlich argumentierte Frau Lewitscharoff, auf ihre befremdlichen Urteile angesprochen, sofort beschwichtigend. Und der blödelnde Alf wird sicher auch ein paar Sätze finden, um seine Sicht zu rechtfertigen, falls er überhaupt danach gefragt wird, und es nicht unter kabarettistische Scherze abgebucht wird.

Auch wenn einem gewisse Ausformungen der Gender-Szene unangenehm werden, was durchaus verständlich wäre, rechtfertigte das in keiner Weise solche Urteile. Diese Saubermänner und Sauberfrauen verdienen eine deutliche Antwort: so nicht. Dieselbe Antwort muss auch an jene Religiösen gerichtet werden, die im (falschen) Schutz der Religionsfreiheit ihre Formen des Terrors praktizieren.