Friedensverwöhnt

/ Haimo L. Handl

Am Ostersonntag, 20.4.2014 (hoffentlich kein Omen!), war in Springers Medienflaggschiff DIE WELT zu lesen: „Friedensverwöhnt, vergessen Deutsche die Aggression“. Peter Schneider führt aus, wie die „Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder in einem eher instinktiven Pazifismus aufgewachsen“ sei, was zu einer falschen Haltung führte, zwar für die Menschenrechte zu sein, aber die Verteidigung wegen der immensen historischen Schuld anderen, weniger kompromittierten Nationen zu überlassen. Handelt es sich um den Peter Schneider, 1940 geboren, Studentenführer, aktiv im Springer-Tribunal, Wahlkampfhelfer für Willy Brandt, bekannter Essayist, PEN-Mitglied? Schnelle Recherche. Ja. So viele Schneiders haben wir nicht mehr. Ein Realist.

Ich versteh ja, dass es durchaus vernünftige Gründe gegen den Pazifismus gibt, vor allem, wenn es um die Verteidigung und Abwehr geht. Die Problematik hat eindrücklich auch George Orwell dargelegt. Ich verstehe, dass es um Wachsamkeit geht (Wehret den Anfängen!), und um Taten, nicht nur verbale Proteste, wenn es ernst wird, weil sonst der Aggressor das Feld bestimmt. Aber ich verstehe nicht ganz, wie sicher Herr Schneider den Aggressor erkennt, und die anderen, die Friedensverwöhnten bzw. Friedlichen. Er sieht den Westen z. B. als friedlich, Russland als belligerent. Das ist leider nur die halbe Wahrheit. Allein schon die Vormachtstellung unserer westlichen Leitmacht als friedlich zu sehen, ist, gelinde gesagt, ein fataler Irrtum, wenn nicht eben bewusste Täuschung.

Die von ihm erwähnten Balkankriege unterstützen seine Argumentation der tapferen Verteidigung durch NATO-Truppen nur bedingt. Ich verstehe auch, weshalb er die Krim-Annexion erwähnt und den Problemfall Ukraine. Aber es verwundert, dass er die Friedenskriege im Irak, in Afghanistan und in Libyen nicht erwähnt, die so eindrücklich die Friedensarbeit der friedlichen Humaninterventionen unserer friedlichen westlichen Gemeinschaft unter Beweis stellen. Vielleicht sollte es mich nicht wundern, denn ein gewichtiger Satz Peter Schneiders lautet: „Die viel zu späte Einsicht der Völkergemeinschaft, dass auch die Verweigerung einer militärischen Intervention ein Verbrechen sein kann, hat zu einer, allerdings unverbindlichen, Entschließung geführt: zur ‘responsibility to protect’ – zur Verpflichtung, eine von Mord bedrohte Zivilbevölkerung zu beschützen, wenn der verantwortliche Staat diese Aufgabe verfehlt.“

Völkergemeinschaft. Hier schiebt der Autor ein altes Konstrukt vor, das die nüchterne, realistische, eben offensichtlich nicht verwöhnte Sicht camouflagieren soll: Es geht um Macht. Einfluss, Bestimmung, Kontrolle, Diktat, Geschäft, Ausbeute usw. Wie realistisch nichtverwöhnt ist denn einer, der stattdessen von Frieden und Menschenwürde redet und so sicher einseitig, biased, die Rollenverteilung sieht?

Ein ganz anderes Problem ist die Begriffsprägung von „friedensverwöhnt“. Hier folgt das späte Kriegskind, der privilegierte Deutsche, den Vorgaben des Großen Bruders, im Orwellschen Sinne von damals, „1984“, als auch heute, in unseren ach so friedensverwöhnten Zeiten: „War is Peace, Freedom is Slavery, Ignorance is Strength“.