Mordaufrufe

/ Haimo L. Handl

In unseren oder unserer Nachbar Massenmedien erscheinen Mordaufrufe oder Kriegsforderungen nur dann, wenn sie durch „internationales Recht“ gedeckt sind (UNO-Einsätze, „Humaninterventionen“), oder von unserer westlichen Leitmacht in einer Weise vorgegeben, der sich jene europäischen Regierungen, die vielleicht noch Vorbehalte pflegen, doch nicht entziehen können. Terror, außer es ist westlicher Staatsterrorismus, wird verfolgt. Man ist also nicht per se gegen Krieg und Töten, sondern nur gegen bestimmte Kriege und gewisses Töten.

Die hollywoodtaugliche Ermordung Bin Ladens durch Spezialeinheiten der USA wurde nur selten offen kritisiert. Die enorme Unterstützung durch westliche Regierungen aller oppositionellen Kriegsparteien in Syrien wird als Beitrag zur Friedenssicherung und Demokratisierung gesehen. Frech wird verlangt, dass das Regime abtreten müsse, was im Übrigen auch vom Iran oft gefordert wurde, und wo bislang nur die realpolitischen Entwicklungen verschiedener beteiligter Akteure einen direkten Kriegseinsatz Israels und der USA verhinderte.

Die Abspaltung der Krim von der Ukraine und die brüderliche Aufnahme in den russischen Staatsverband, empörten verständlicherweise den Westen, obwohl die Sanktionsmöglichkeiten Europas ziemlich gering sind aufgrund der eklatanten Abhängigkeiten von Energielieferungen aus Russland,bzw. wegen seiner uneinheitlichen Außenpolitik. Da tun sich die Amerikaner schon leichter. Ihre Wut über die mangelnde europäische Unterstützung ihrer hegemonialpolitischen Machenschaften dringt ja immer wieder an die Öffentlichkeit, führt aber zu keinem Protest oder nennenswertem Widerstand. Die meisten Massenmedien sind „auf Linie“ und stimmen ein in die Kampagnen gegen Russland, das völkerrechtswidrig handle, das erpresse usw. usf. Nicht ein Anflug solcher Kritik bei den vielen Völkerrechtsverletzungen seitens der eigenen und amerikanischen völkerrechtswidrigen Aktionen bzw. schmutzigen Kriegsunterstützungen von Terroristen und War Lords, von den Ausspähungen durch die NSA ganz zu schweigen.

Etwas einheitlicher ist die Ablehnung von Mordaufrufen an Personen. Zwar sind hier die Reaktionen auch unterschiedlich, aber „ideell“ wird einheitlich verurteilt. Eine Tötungsaufforderung durch eine Fatwa wird zwar verurteilt, führt aber zu keinen Sanktionen. Sie stammt ja nicht von einer Terrorgruppe oder einer terroristischen Person. Und wenn der israelische Geheimdienst es schafft, irgendwo in der Welt einen Feind zu töten, wird das als verständliche Abwehrmaßnahme eines bedrohten Staates gesehen. Und die Affäre mit Bin Laden, nun, die wird als Erfolg im Krieg gegen den Terror gesehen.

Anders ist es, wenn im Westen Dissidenten aus dem Osten getötet werden. Da sind sich die Regierungen und die öffentliche Meinung einig: hier handelt es sich um Verbrechen, um Mord. Hier gilt der feine Unterschied. Dieses pervertierte Unterscheiden nach ideologischen Vorgaben schuf ein Klima der Wertunsicherheit durch die Relativität der Bewertungen. Nicht jeder gewaltbereite Extremismus wird gleich beurteilt. Im Fall der NSU zeigt sich eine tödliche Schlagseite einiger deutscher Behörden in der Verfolgung neonazistischen Terrors. Ähnliche Phänomene sind z. B. auch in Großbritannien und Frankreich zu beobachten. Es gibt aber auch die Kehrseite. „Kill racists!“, als Graffiti an vielen Wänden bei uns und in anderen Ländern zu lesen, wird als Wutäußerung von Antifaschisten verstanden. Wird abgetan. Eigentlich handelt es sich um Mordaufrufe, um gewollte Lynchjustiz. Wären die, in Deutschland, bei uns, überall in Europa, gegen Moslems oder Juden gerichtet, oder wäre der Aufruf mit Hakenkreuzen versehen als von der faschistischen Gegenseite zu identifizieren, die Antworten wären anders, die Medien fühlten sich verpflichtet anzuprangern.

Als jetzt in den Niederlanden der holländisch-libanesische Rapper Hozny in einem Video, das in Youtube weite Verbreitung fand, die Hinrichtung des verhassten Antiislamisten und Rechtsextremen Geert Wilders „durchspielte“, und diese Lynchjustiz als gute Tat für die Kopftuchträgerinnen und Rechtgläubigen pries, ging die Sache doch zu weit; sogar der Ministerpräsiden Mark Rutte äußerte seine Abscheu.

Es kam noch zu keinen öffentlich geäußerten Tötungsaufrufen gegen Thilo Sarrazin. Aber das Klima ist so aufgeheizt, dass es mich nicht verwunderte, wenn sie erfolgten. Denn das Rechtsverständnis hat sich unter dem Einfluss der verworrenen Politiken mit Kriegen, Terror, Humaninterventionen, Befreiungskämpfen usw. derart abgestumpft, dass es sich nur noch am kruden Freund-Feind-Verständnis zu orientieren scheint, das sich mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr bescheiden will.