Bücherschwemme

/ Haimo L. Handl

Der Buchhandel berichtet von Markterholung und guten Absätzen, die Buchmessen feiern Besucherströme, Fernsehanstalten reden oder „talken“ mit Autorinnen, auch wenn sie nicht über tropfende Mösen oder malträtierte Sphincter schrieben, Talkshows zeigen Talks mit Buchmenschen und E-Booklern. Letztere seien die wahren Büchernarren, weil sie ja in ihren Geräten ganze Bibliotheken mit dabei haben. Es werde also auch im Smar-Internet-Zeitalter noch gelesen.

Was WIE von wem gelesen wird, wäre schon schwieriger zu beantworten, wenn man danach fragte. Die Verkaufsstatistiken bilden irgendwie einen gelenkten Massengeschmack ab, wie er sich im Kaufverhalten zeigt. Mehr aber nicht. Die Lektüre von Blogs in X Internetseiten, privaten oder von Massenmedien, das Nachlesen von Buchkommentaren, oder die naiven bzw. bestellten Besprechungen im Portal des größten online-Buchhändlers, der es schaffte, die Infrastruktur realer Buchhandlungen zu zerstören, zeigen aber eine Gleichförmigkeit und Beschränktheit, die angesichts der inszenierten Vielfalt doch überrascht. Die vielen einschlägigen Sendungen in Radio und Fernsehen könnten einen glauben machen, Bücher und Lesen seien wichtig. Nicht ganz so wie Fußball oder Formel 1, Pop-Musik und Show-Biz, aber doch irgendwie.

Mich erstaunt es immer wieder, wie der Markt läuft. Immer weniger geschulte Buchverkäufer oder gebildete Bibliothekare, Verschwinden kleiner Buchläden, keine Beratung bei online-Firmen, außer man wertet das Werbeprogramm als Beratung, trotzdem hohe Absätze, gut geölter Medienrummel. Dem Publikum scheint’s zu passen.

Die Bibliotheken, die bei uns mehrheitlich Büchereien heißen, wandelten sich zu Sozialeinrichtungen. In einer Art Integrationszentrum geht’s um den Wohlfühlfaktor in der Erlebniswelt Buch-Computerspiele-Internet. Und Getränkeautomat und Spielecke. Nur die größeren Einrichtungen haben bezahltes Personal, das manchmal sogar kundig ist. Die meisten operieren mit extrem geringem Budget und unentgeltlicher Leistung, die man gönnerhaft „ehrenamtlich“ nennt. Man gewinnt den Eindruck, dass die Kommunen Alteinrichtungen und –bestände halt mitschleppen, aber weder von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt sind, noch davon, dass man sich hier auch finanziell engagieren solle. Sozusagen Altlasten.

Die Büchereien sind eine Art kulturelles Täuschungsmanöver. Viele Bibliotheken sind Bücherlager, die systematisch verdünnt werden. Die Büchereien dürfen nicht sammeln, weil es keinen Platz gäbe. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, sie dürfen ihre Bestände nicht einfach erhöhen, auch wenn sie Schenkungen erhielten, weil der Bestand in einem definierten Verhältnis zu den Ausleihungen zu stehen hat. Und viele Bücher werden einfach nicht oft gelesen. Die gehören raus. Die Bücherei hat sich an der Quote, am Massengeschmack zu orientieren. Hohe Ausleihziffern, das ist das Ziel! Nach der Qualität wird nicht gefragt. Die könnte auch nicht empfohlen werden, weil die Freiwilligen ja keine Ausbildung haben oder in der Regel nicht jene Bildung, die es ermöglichte, in mehreren als einem Bereich „wissentlich“, kundig zu empfehlen. Deshalb „misten“ Büchereien so eifrig aus, halten den Bestand schlank, vernichten Kulturgut, um ja die Vorgaben zu erfüllen. Es ist wie in der Sowjetunion oder der DDR, wo die planwirtschaftlichen Vorgaben zu erfüllen waren, und wenn die Zahlen noch so gezimmert waren. Der Staat erzwingt eine einseitig, eigentlich dumme Orientierung, die in Teilen aktiv zerstört, Kultur vernichtet.

Tonnenweise werden Bücher aus Büchereien entsorgt. Vielleicht belebt das den Kreislauf des Marktes? Andererseits fehlen vielen Bibliotheken die Mittel, wichtige Bücher anzuschaffen. Das Problem wird gelöst sein, wenn man bei einer amerikanischen Firma alles nachlesen kann, sagen gewisse Enthusiasten.

Deshalb nannte ich vorhin die Büchereien ein großes Täuschungsmanöver. Zumindest jene, die in Bibliotheken Kultur- und Bildungseinrichtungen sehen, werden getäuscht. Die verantwortlichen Politiker und ihre bezahlten Bürokraten sind höchstwahrscheinlich nicht getäuscht. Die wissen, was sie tun, was sie wollen. Wer meint, es gehe um Bildung, es gehe um Kultur, es gehe um Archivierung und Pflege, ist naiv, ist getäuscht.

Ich bin so ein Getäuschter.