Ukraine

/ Haimo L. Handl

Die Ereignisse in der Ukraine haben eine unerwartete, überraschende Wende genommen. Die Maidan-Bewegung, genannt nach Majdan Nesaleschnosti, dem großen, symbolträchtigen Platz in Kiew, dem Zentrum der Proteste und des Aufstands gegen das Regime von Wiktor Yanukovitsch, hat den Sturz der Regierung erwirkt. Aber diese Bewegung ist inhomogen und unterschiedlich organisiert. Weniger die friedensdurstigen Protester haben gewonnen, als vielmehr paramilitärische Kräfte, extrem nationalistisch und rechtsradikal, die dem gewalttätigen Regime die Antwort in seiner Sprache gaben, die es verstehen musste.

Die Europäische Union hat früh die Protestbewegung unterstützt. Die jetzt neu gebildete Regierung unter Arseni Jazenjuk, einem Ex-Banker, Ex-Wirtschaftsminister unter Viktor Jutschtschenko, einem angesehenen Millionär, stellt zuallererst ein riesiges Finanzproblem fest: es fehlen, heißt es, 37 Milliarden Dollar, das Land steht vor dem Staatsbankrott. Aber das ist nicht die einzige Sorge. Das Land steht vor einer Teilung zwischen dem europafreundlichem westlichen und dem moskautreuen östlichen Teil. Ein Sonderproblem stellt die Halbinsel Krim dar. Und die ersten nationalistischen Maßnahmen, die das ukrainische Parlament unter Turtschinow erließ, wie das umstrittene Sprachengesetz, womit Russisch als Amtssprache abgeschafft wurde, haben Empörung ausgelöst; diese unkluge, chauvinistische Maßnahme wurde inzwischen teilweise zurückgenommen. Die Ukraine steht auch vor der Konfrontation mit den paramilitärischen Bewegungen; auf der Krim hält eine Bande maskierter Bewaffneter den Flughafen besetzt, in einigen Städten in der Ostukraine formiert sich der Widerstand gegen die neue Regierung bzw. die Maidan-Bewegung, und Moskau hat sein Militär an der Grenze mobilisiert.

Die im Westen stark unterstützten Julia Timoschenko, die jetzt nach Deutschland zur medizinischen Behandlung reist, bzw. der Oppositionspolitiker Wladimir Klitschko, sind wahrscheinlich für die meisten der Maidan-Bewegung keine Option. Timoschenko hat während ihrer Regierungszeit wenig erreicht, Klitschko hat mit seinem Handschlag mit Yanukovitsch ein Symbol geschaffen, das jetzt, in der neuen Situation, einen tiefen Schatten auf ihn wirft.

Die Europäische Union ist nicht wirklich glaubhaft, weil hinter ihr die Interessen der USA erkennbar sind. Europa hat sich nicht von den Amerikanern emanzipiert. Der berühmt gewordene Klartext der amerikanischen Diplomatin Victoria Nuland über die „fucking Europeans“ ist nicht vergessen. Die Interessen der westlichen Leitmacht stärken die russisch-orientierten Kräfte, nicht zu unrecht, und komplizieren die Lage. Es geht nicht nur um enorme Finanzhilfen, einer Art Marshall-Plan, sondern es geht um die politische Gestaltung eines Landes im Umbruch.

Es ist zu befürchten, dass nicht nur die sogenannt revolutionären Kräfte als erste aufgerieben werden, wie meist, sondern dass unter dem Deckmantel einer Demokratisierung fremde Interessen Abhängigkeiten schaffen, die das ureigenste Interesse jener Ukrainer, die nicht nur Frieden und Wohlstand wollen, sondern eine freiheitliche Demokratie, pervertieren werden. Wird es zu einem „Frühling“ kommen in der Ukraine? Wenn’s einer wie in den arabischen Ländern wird, werden wieder die Kräfte der alten Machtstrukturen gewonnen haben.