Sotschi im Kalten Krieg

/ Haimo L. Handl

Es ist fast wie zu Zeiten des der teuflischen Reiche, der „devil’s empires“, wie Ronald Reagan die Feindstaaten nannte. Die Guten, das sind die USA und ihre Verbündeten, die Bösen, das sind die anderen. Russland, das nach der Eröffnung des „Kriegs gegen den Terror“ durch George W. Bush nicht zu den „Schurkenstaaten“ gehörte, ist nun wieder ein Reich des Bösen.

„Putins Spiele“ werden in Analysen und Dokumentationen beleuchtet, kritisiert. Einige Staatsoberhäupter sind so kritisch, dass sie an der Eröffnungszeremonie nicht teilnehmen. Sie folgen dabei einer Moral bzw. einem Rechtsempfinden, das sie, wenn sie ihre Maximen allgemein und umfassend beachteten, auch dazu führen müsste, z. B. die USA zu meiden oder viele andere, eigentlich fast alle. Aber die Sicht ist so einseitig wie früher. Die Kritik und Moral schließt die „Freunde“ nicht ein; das ändert sich bei den Deutschen auch dann nicht wesentlich, als bekannt wird, dass sie, wie die Schurken, überwacht werden wie keine andere Nation. Die größten Datenklauer und Überwacher, die USA und Großbritannien, gelten als Freunde und Verbündete, wiewohl die Überwachung auch der Wirtschaftsspionage dient, der Manipulation der Märkte zur Stärkung amerikanischer Interessen, die in Europa vor allem von Großbritannien antieuropäisch vertreten werden. In den allermeisten Medien haben die Guten, zuvorderst die USA, eine breite Unterstützung.

Im Fernsehen laufen bei uns nun neben den sattsam bekannten amerikanischen Serien viele britische, die uns mit dem hohen Sozialniveau der Kulturnation England unterhaltsam „bilden“, werden Analysen aus Putins Reich geliefert, werden alte Feindbilder gestärkt und andererseits die alten Mythen der Freundschaften betont. Das durch die NSA-Affäre etwas erschütterte Vertrauen wird von offizieller Seite verzweifelt gekittet, wobei die Amerikaner zynisch klar machen, dass es im Kern weder etwas zu entschuldigen gilt, noch zu korrigieren außer ein paar kosmetischen Maßnahmen. Die Deutschen, die Europäer, machen mit. Sie gehören ja zu den Guten, meinen im selben Boot zu sitzen, starren auf die feindlichen Lager, schüren die Angst.

Also fährt der Pfarrer Gauck, jetzt Bundespräsident der Deutschen, nicht zu den Spielen, boykottieren einige andere, auch Spitzensportler, die Teilnahme. Während termingerecht viele Dokumentarfilme zum Niedergang der Sowjetunion die Menschen wieder aufklären sollen, zum Aufstieg Putins und eben auch „seiner“ Spiele Hintergrundmaterial liefern, ist ein ähnlicher Eifer bezüglich der Aufdeckungen der tief verankerten Korruptionsnetzwerke im Westen, bei den Guten, nicht zuletzt beim Internationalen Olympischen Komitee oder, nicht zu vergessen, bei der FIFA (wo der Schweizer Sepp Blatter seit 1998 herrschaftet) bzw. FIA (Formel 1 Organisation), um nur drei prominente Großveranstalter zu nennen, nicht zu bemerken. Es gibt zwar Untersuchungen, aber keine adäquaten Konsequenzen. Zuviel steht auf dem Spiel. Also spielt man weiter, gut und westlich. Die NSA-Affäre scheint die Öffentlichkeit, durch unsere Medien sauber an der Leine gehalten, nicht wirklich aufzuregen.

2007 wurden Sotschi die Winterspiele zugesprochen. 2007 war das Jahr mit dem damals höchsten Stand des Dow-Jones-Indexes von 14.164,53 Punkten, während gleichzeitig die Wirtschafts- und Finanzkrise in den USA manifest wurde, die im Zuge ihrer Ausweitung die Weltwirtschaft in eine heute noch andauernde Krise stürzte. Man kann das Kollateralschäden der Guten, des Westens, nennen. Der Preis für den freien Markt. 2007 war das Jahr, als die EU sich wieder erweiterte (Bulgarien und Rumänien), als Ban Ki-moon Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde, und als vielen zu Sotschi nicht viel einfiel, einige den Namen gar mit Saatchi verwechselten, was aber von den Medien nicht aufgegriffen wurde. Die Verwechslung ist an den Haaren herbeigezogen, zeigt aber, wie bei vielem Absurden, unfreiwillig einen Kern von Wahrheit, weil Saatchi nicht nur für eine der größten Werbeagenturen steht, die z. B. den heißen Krieger George W. Bush beriet, wie man den Krieg gegen den Terror schmackhaft positiv bewirbt (Kevin Roberts, damals CEO von Saatchi & Saatchi, empfahl 2005 dem US Verteidigungsministerium, den Krieg als ‘Kampf für eine bessere Welt’ hinzustellen), sondern auch viele NGOs erfolgreich berät; die Firma wurde 2000 von der Publicis Groupe S.A, einem multinationalen Medienkonzern in Frankreich, gekauft.

Die „Putin-Spiele“ also. Wie sollen die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 genannt werden? Wessen waren die in Peking 2008 oder 1984 in Los Angeles? Waren die Winterspiele 1984 in Sarajewo (damals Jugoslawien) politisch motiviert? – In Jugoslawien gedieh der olympische Gedanke nicht sehr weit: von 1992 bis 1996 wurde Sarajewo von den Serben belagert und bekriegt. – Welche Interessen liegen hinter dem Projekt der Spiele in Tokyo 2020?