Ersatzrandale

/ Haimo L. Handl

In der Ukraine geht eine breite Opposition auf die Straße. Aus schwerwiegenden Gründen. In Ägypten leistet die halbe Bevölkerung Widerstand gegen die Militärregierung. In Wien demonstrieren Gesinnungsmenschen gegen einen Ball, der ihrer Meinung nicht stattfinden dürfte, weil die Teilnehmer Nazis seien. Für eine kleine, aber effiziente Gruppe von Gewalttätigen ein willkommener Anlass für Randale und Straßenschlachten.

Wegen der immens hohen Korruption gibt es keine nennenswerten Proteste. Wegen fragwürdiger EU-Politiken, die Österreich mitträgt, rühren sich keine besorgten Demonstranten, äußern sich kaum kritische Stimmen. Aber wegen einer Verkehrsberuhigung einer beliebten Einkaufsstraße gibt es Widerstand, und wegen eines Balles in der Hofburg erst recht.

Früher engagierten sich bestimmte Aktivisten gegen den Opernball. Jetzt gegen den Akademikerball. Es scheint, die Protestkultur hat sich auf’s Symbolische verlagert. Man macht es sich einfach. Die Gesinnungskultur zeigt ihre Empfindlichkeit. „Nazis raus“, war zu lesen. Wohin? Aus der Hofburg, weil der Ball eine politische Aktivität ist, weil die Hofburg quasi eine offizielle republikanische Stätte sei? (Auch wenn es Nazis wären, wie soll man sie „entsorgen“? Töten?, wie in einigen Mordaufrufen, „Kill Racists!“ an vielen Orten der Stadt als Graffiti zu lesen? Ausweisen, abschieben? Wem wären sie zumutbar, wer sollte den Kübel dafür bieten?)

Das ist so brennend, dass sogar Deutsche Schläger einreisen. Von denen distanzieren sich die „Ernsthaften“, die ja ein berechtigtes Anliegen haben. Ihre Gesinnung. Diese will Anhängern einer Partei, die nicht verboten ist, just jene Rechte verwehren, die sie selbst beanspruchen. Nein, für Rechte, die der Einfachheit halber gleich Nazis genannt werden, dürfen keine gleichen Rechte gelten. Sie gehören raus. Sie sollen keine Partei bilden dürfen, sollen sich nicht versammeln, sollen auch keinen Ball abhalten dürfen, sollen einfach weg sein. Sie seien eine Gefahr. Die Randalierer und Gewalttäter werden zwar nicht begrüßt, aber hingenommen, bzw. die Gewalttaten als das Werk Weniger gesehen.

Rechte gelten in einem Rechtsstaat gleich, unabhängig der Gesinnung, der Sympathie. Nicht für bestimmte Gesinnungsgenossen. Aber die bittere Wahrheit ist, dass ihr politisches Unvermögen sie zu Ersatzhandlungen führt. Dieses Unvermögen trifft sich mit einer Politik der beiden Koalitionsparteien, die den Populisten und Rechten in die Hände spielt. Deren Versagen ebnet den Rechten den Weg. Da werden eines Tages auch rigidere Verbote nichts ändern, außer man hebelt den Rechtsstaat aus, installiert einen offenen Polizeistaat und geht gegen alle Rechten drakonisch vor. Wären die Probleme dann gelöst? Man muss schon naiv oder borniert, verbohrt sein, das glauben zu wollen.

Werden Rechte „qualifiziert“ interpretiert und exekutiert, gibt es keinen Rechtsstaat mehr. Die Kehrseiten zeigen das: Gegen die Abschiebepraxis, außer bei Nazis. Für ein gesichertes Versammlungs- und Demonstrationsrecht, außer für Rechte. Gegen Ausgrenzung, außer bei Rechten. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Gesinnungskultur hat das schon lange mental vorbereitet in ihrer Präferenz der Verbotskultur, der staatlichen Betreuung: Gegen die Raucher, für Zensur, gegen Pornographie, gegen Prostitution, gegen Missbrauch, gegen Fast Food usw. Aber das fordert stärkere Überwachung. Jeder ist verdächtig, bis das Gegenteil bewiesen ist, also praktisch eine Umkehrung der Beweislast. Präventive Verhaftungen, vorderhand z. B. von Hooligans bei sportlichen Großveranstaltungen, usw.

Bemerkenswert, dass diese Maßnahmen nicht gleichwertig gegen Banker und Manager, gegen Korrupte, verlangt werden. Hier reicht die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe noch nicht aus als Rechtfertigung einer Verfolgung. Würde die Gesinnungskultur, wie sie einige Gutmenschen demonstrieren, zur allgemeinen Praxis, wäre es aus mit dem Rechtsstaat, mit den letzten Resten der Ordnung. Wir hätten wieder sich bekriegende Lager.