Der Schlächter

/ Haimo L. Handl

‘Niemals vergessen!’ Diese Devise gilt nur speziell. Israel, Hauptvertreter in Antivergessenskampagnen im Zuge seiner ‘Holocaust-Industrie’, vergisst gezielt. Die Morde an Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, des Ariel Sharon, die er als Kommandeur der Spezialeinheit 101 in einem ‘militärischen Gegenschlag’ 1953 im jordanischen Qibya leitete, führten nicht nur nicht zu politischen oder rechtlichen Konsequenzen, sondern im Gegenteil zu Belobigungen des Erfolgs im Krieg gegen den Terror, den Israel ja seit seiner Gründung führt. In seiner Autobiografie kehrt er ganz pragmatisch die Wichtigkeit und Richtigkeit seiner Militäraktionen aus. Damals sprach man noch nicht von ‘unvermeidbaren’ Kollateralschäden, aber um die handelt es sich. Der Krieg gegen den Terror rechtfertigt alles.

Ariel Sharon leitete 1982 die israelische Invasion in den Libanon. Weite Teile des Landes wurden besetzt. Unter seiner Schirmherrschaft wurde marodierenden libanesischen christlich-falangischen Milizen Massenvergewaltigungen und Morde in palästinensischen Flüchtlingslagern in Sabra und Shatila ermöglicht. Die allmächtige IDF, Israeli Defence Forces“ blickten weg, erlaubten das barbarische Abschlachten. Es war Krieg. Ein Krieg israelischer Art rechtfertigt alles. Nicht nur in den Fünfzigerjahren.

Zwar befand eine Untersuchungskommission eine „Fahrlässigkeit“, nicht aber Komplizenschaft als gegeben, folgerte aber doch eine indirekte politische Schuld, was immerhin zu seinem Rückzug als Verteidigungsminister führte. 2001 wurde in Belgien die „Sache“ erneut vor Gericht gebracht. Der Eintrag dazu in Wikipedia liest sich wie folgt: „2001 wurde der Fall erneut von Überlebenden des Massakers vor ein belgisches Gericht gebracht. Die Klage wurde in Belgien erhoben, da das belgische Strafrecht ein einzigartiges „Weltrechtsprinzip“ enthält, welches Klagen gegen Ausländer wegen im Ausland verübter Verbrechen zulässt. Auf internationalen Druck wegen der Gefahr einer politischen Instrumentalisierung wurde dieses Rechtsprinzip in Folge abgeändert. Das belgische Kassationsgericht lehnte darauf hin seine Zuständigkeit ab.“

Für Israel haben andere Rechte zu gelten. Im Kampf gegen den Antisemitismus, im Kampf gegen den Terror, gelten für Israel Regeln, die für niemanden sonst gelten, außer für die Amerikaner als derzeit alleinige Supermacht. Niemals vergessen!

Ariel Sharon, 1928 geboren, starb nach jahrelangem Wachkoma, am 11.1.2014. Sein Tod löste „landesweite Trauer“ aus. Zu seinem feierlichen Begräbnis mit allen militärischen Ehren kamen viele hochrangige ausländische Politiker und Militärs. Ariel Sharon gilt für eine Mehrheit der Israelis als Held. Sharon wurde als einer der „Gründerväter Israels“ bezeichnet, als „Kämpfer im Krieg gegen den Terror“, als „Schulter, auf der die Sicherheit Israels ruhte“ usw. Aus Österreich nahm der Verteidigungsminister Gerald Klug teil.

Erinnern wir uns, dass zum Begräbnis Nelson Mandels kein namhafter Politiker, keine Politikerin Österreichs Zeit hatte; offiziell wurde Österreich von Reinhard Todt, Vorsitzender des Bundesrates, vertreten.

Ariel Sharons, von der Mehrheit bewundernd der „Bulldozer“ genannt, von einer kleinen Minderheit „Schlächter“, wurde in allen Ehren gedacht. In allen Ehren! Das ist die Friedenspolitik im Krieg, das ist die Relativität von Recht und Ehre, das ist das gezielte Vergessen. Das ist Schande.