Tiefstand

/ Haimo L. Handl

Nun haben wir in Österreich endlich die neue Regierung. Die Große Koalition schaffte es nach langen Querelen, sich auf ein Minimalkompromissprogramm zu einigen, das viele Beobachter als fragil und brüchig erkennen und vermuten lässt, dass in Kürze neue Konflikte zu dramatischen Problemen führen werden.

Verschiedene Befragungen zeigen einen enormen Vertrauensverlust der SPÖ und ÖVP bei der Wählerschaft. Einige Berufsgruppen haben schon demonstriert und mit Streiks gedroht. Noch keine Regierung hat so einen schlechten Start mit so wenig Vertrauen hinter sich, wie diese Partie der Verlierer, die zusammen meinen, das Volk zu repräsentieren.

Auffällig, dass den Parteien die heftigsten Kritiken aus den eigenen Reihen entgegengeschleudert werden. Allgemeine Unzufriedenheit. In den Massenmedien werden zwar genüsslich die Schwächen breitgetreten, aber es fehlt an plausiblen Deutungen der Hintergründe, des Warums: Warum hat die ÖVP das Wissenschaftsministerium geopfert? Zu leicht gibt man sich mit der dümmlich-lapidaren Formulierung des Vizekanzlers zufrieden. Es heißt, weil man die Zahl der Ministerien nicht erhöhen wollte, musste eines eingespart werden zugunsten des neuen Familienministeriums, dem die Meinungs- und Motivforscherin Dr. Sophie Karmasin, derzeit Bundesministerin ohne Portefeuille, vorstehen soll.

Aus diesem Grund übernehme der Wirtschaftsminister die Agenden von Wissenschaft und Forschung, ein Bereich, der prädestiniert sei für die Wirtschaft. Dass die Familienagenden vorzüglich ins Sozialministerium passten, wäre logisch. Aber das ist ja in roter Hand, und es ging um ein schwarzes Ministerium. Der ÖVP war aus populistischen Gründen das Familienministerium wichtig. Wissenschaft und Forschung ist da leicht abzugeben, wenn der Wirtschaftsminister smart das Management dafür übernimmt.

Diese Wertigkeit, diese Einschätzung, diese miserable Politik der ÖVP, die von sich immer behauptet hat, sie trete für Wissenschaft und Forschung, für Bildung, ein, verdiente eine genauere Analyse. Wenn eine Partei aus kurzsichtigen politischen Erwägungen solche Revirements vornimmt, disqualifiziert sie sich hinsichtlich ihrer Ausrichtung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Eigentlich insgesamt für ihre Ernsthaftigkeit und politische Verantwortlichkeit.

Dass die SPÖ klein beigab, beweist nur ihren eigenen Tiefstand. Beide Parteien haben sich auf einen Mindeststandard von Verwaltung reduziert, ohne Vision, ohne Reformwillen, ohne politischen Weitblick. Es herrscht ein Geist wie in der unseligen Monarchie, mit Angst vor Veränderungen, mit borniertem Interesse des Machterhalts, soweit er noch absteckbar ist.

Als in Berlin im Jahre 2002 die CDU meinte, den Haushalt durch drastische Kürzungen bei den Berliner Universitäten ‘sanieren’ zu können, indem die Geisteswissenschaften als unwichtig im Vergleich zur den Naturwissenshaften hingestellt wurden, regte sich just aus dem CDU-Lager Protest. Damals war zu lesen: ‘Das wäre ein kulturfeindlicher Kahlschlag und ein Akt der Barbarei’, wies der Historiker Heinrich August Winkler den Beschluss zurück. Er lehrt an der HU [Humboldt Universität]. ‘Es verschlägt einem den Atem, wenn das ausgerechnet von der Partei kommen sollte, die den Anspruch erhebt, das bürgerliche Berlin zu vertreten.’

Nun, die deutsche Bundesregierung hat von den meisten Universitäten das Fach Philosophie verbannt, eingespart, weil es nicht wichtig ist. Forschung komme ohne (philosophisches) Denken aus. In Österreich unternimmt die ÖVP gleiche Maßnahmen und beweist damit ihre Kulturfeindlichkeit und kurzsichtige Einschätzung der Forschung, die nach ökonomischen Kriterien ‘Erfolge und Nutzen’ bringen soll. Eine Bankrotterklärung.