Mandela & Mythen

/ Haimo L. Handl

Der Tod von Nelson Mandela löste eine Flut von überaus positiven Nachrufen, Kommentaren und Rückschauen aus, die schier an die Pflege eines Personenkults gereichen. Nicht nur in den populären Massenmedien, sondern auch in der sogenannten Qualitätspresse vermissen aufmerksame Leser jedoch kritische Würdigungen oder Betrachtungen zur südafrikanischen Geschichte, deren Teil Nelson Mandela war. Der Fokus auf seine Person verdeckt nicht nur Tatsachen, sondern klittert auch die Geschichte der Apartheid und ihrer Überwindung. Denn es war nicht primär Mandela, der den bedeutungsvollen Wechsel herbeiführte.

Die ‘Berichterstattung’, die Hagiographien, die Glorifizierungen, das Herausstellen der Persönlichkeit Mandelas blendet bewusst Fakten und Wahrheiten aus, zimmert ein geschöntes Bild. Damit beweisen die Massenmedien einmal mehr, wie relativ die viel beschworene ‘Freiheit der Presse’ ist, wie wenig mit viel Worten ausgesagt wird, wie einseitig Geschichte konstruiert – und Geschichten geglaubt werden.

Dass der israelische Premier nicht zum Begräbnis flog, weil das Israel zu teuer käme, wurde erwähnt, nicht jedoch der politische Hintergrund: Israel war ein wichtiger, standfester Partner des Apartheid-Regimes, unterhielt enge geschäftliche, politische und militärische Verbindungen, auch als die meisten westlichen Länder zumindest ‘offiziell’ auf Distanz zum faschistischen Apartheid-Regime gegangen waren. Das wird heute nicht diskutiert. Ebenso wird die oft, und nicht nur von den Palästinensern, vorgebrachte Kritik an der israelischen Apartheidpolitik nicht berührt.

Dass die CIA wesentliche Unterstützung dem Apartheid-Regime gewährte, die nicht zuletzt zur Gefangennahme Mandelas führte, erwähnte der redselige Präsident Obama natürlich nicht; er entschuldigte sich auch nicht für die frühere amerikanische Politik mit dem Apartheid-Regime.

Die Fokussierung auf eine Persönlichkeit zwecks Interpretation von Geschichte und Politik hat ihre Funktion, folgt einem System. Im Negativen erlaubt, wie man gut belegt studieren kann, die Konzentration auf Führer, wie Stalin z. B., die Rettung des Traums vom Sozialismus, der eben nur durch diesen Führer pervertiert worden sei. Mit dem Fokus auf eine Persönlichkeit blendet man systemische Konstruktionen und Bedingungen aus, bewahrt auch andere vor kritischer Bewertung, z. B. Lenin. Ähnlich dient die Zeichnung des deutschen Führers, Adolf Hitler, in ihrer Zuspitzung einer Quasi-Generalentlastung.

Im vermeintlich Positiven hilft die Erhöhung der gepriesenen Persönlichkeit Mandelas von den politischen Ereignissen, ihren Hintergründen und Zusammenhängen während und nach der Apartheid-Zeit abzulenken, indem sie eben nicht ins geistige Gesichtsfeld geraten. Es wird leichter, ‘einfach’ etwas Komplexes zu erklären.

Dabei geht es überhaupt nicht um eine Abwertung der Leistungen Mandelas. Sondern um das intendiert einseitige, inkomplette Bild, das, natürlich, aktuelle Interessen bedient. Man kann sehr gut lügen, auch ohne Falschaussage, einfach durch Auswahl und Weglassen. Eine alte Übung, hier und heute zur Perfektion gebracht.