Schulzensur

/ Haimo L. Handl

Der angesagte Streik der Lehrergewerkschaft hat viel Staub aufgewirbelt. Eines der Hauptargumente der Regierung ist, dass nach 35 Jahren endlich eine Entscheidung fällig sei, und dass dafür jetzt der Zeitpunkt gekommen sei. Das ist allerdings ein schwaches Argument, weil es nicht auf die Sache, die Streitpunkte, eingeht, sondern nur auf die überlange, resultatlose Verhandlungsdauer, die immerwährenden Querelen. Doch die haben Gründe, auf beiden Seiten.

Das neue Gesetz bringt eigentlich nur minimale Änderungen. Die Lehrergewerkschaft bleibt gleichwohl hart. Es ist fraglich, ob sie trotz Streikmaßnahmen auf lange Sicht die Oberhand behalten wird. Ihr Image ist seit Jahrzehnten negativ. Das Feindbild Lehrer hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Die Lehrer stehen schlechter da als Journalisten und Politiker, die gemeinsam mit den Prostituierten die unteren Image-Ränge dominieren. Auch das hat seine Geschichte.

Unbestreitbar bedürfen wir einer Bildungsreform, die auch eine Reform der Lehrerschaft und ihrer Arbeitsbedingungen beinhaltet. Aber das Problem ist vielschichtig und geht weit über die zu Klischees geronnenen Anwürfe gegen die faulen Lehrer, die zu wenig arbeiten, zu viele Ferien hätten, zu schlecht unterrichteten, hinaus.

Beim Schulwesen meinen alle nicht nur mitreden, sondern auch bestimmen und fordern zu dürfen. Die Mehrheit scheint von negativen Erinnerungen geplagt und dankbar zu sein, ein Ventil gegen die verhasste Schule, die blöden, bösen Lehrer zu finden. Die Lehrer geben einen willkommenen Sündenbock ab. Das heißt nicht, dass es nichts an ihnen zu kritisieren gäbe, dass hinsichtlich der Ausbildung und der Lehrvermittlung reformiert gehörte. Aber so einfach, wie das einige Journalisten, die ein ungebildetes oder halbgebildetes Publikum bedienen, darstellen, werden die Probleme nicht gelöst werden können.

Es fällt auf, dass die Elternschaft nicht hinsichtlich der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben befragt, kritisiert und gefordert wird. Als ob ein Tabu die armen, gestressten, überforderten Eltern schützend aus der Diskussion bzw. der Pflicht nähme.

Es wird weiter mit Grauzonen und Täuschungen operiert. Auch wenn die Lehrer länger in den Klassen unterrichten, wenn ihre Arbeitszeit steigt, wird das Kernproblem der Bildungsmisere deshalb nicht geändert werden. Auch wenn Ganztagsschulen zur allgemeinen Einrichtung würden, wäre außer der Versorgung nicht allzu viel gewonnen. Auch wenn mehr Geld in den Schulbereich flösse, würden sich keine ersehnten Erfolge automatisch einstellen.

Ein Grundproblem liegt in der gesellschaftlichen, also auch politischen Orientierungslosigkeit, die teils aus einer Werteschwäche, einer Art kulturellen Verwirrung, resultiert. Welche Bildung soll vermittelt werden? Die, welche funktionale, „brauchbare“ Typen der Wirtschaft liefert? Die, welche das pseudomoderne interkulturelle Sozialverständnis befriedigt? Oder gar jene, die sich um die Entfaltung der Lernenden kümmert, die den Persönlichkeitsaspekt im Blickfeld hat?

Unter dem Primat der Ökonomie wird nicht nur (Finanz)Politik gemacht, sondern auch kulturelle. Also auch Bildungspolitik. Wie will man erwarten, dass Lehrer, auch solche, die sich intensiv engagieren, in diesem System etwas Vernünftigen ausrichten können, wenn die maßgeblichen Politiker selbst nicht wissen, was sie wollen? Wie soll jemand positiv vermitteln, wenn er oder sie permanent eine Abwertung erfahren, eine Geringschätzung sondergleichen? Wie soll Bildung überhaupt gelingen, wenn das direkte, familiäre Umfeld außer Debatte steht?

Hahnebüchene Gleichheitsvorstellungen und gutmenschlerische Ausgleichsbemühungen hier, zynisches Nutzendenken nach ökonomischer Utilität dort: das bildet keine tragfähige Basis für eine Bildungs- und Schulreform, die ihren Namen verdient.

Die Bildung, die Schule und die Lehrer sind zum Substitutskampfplatz für Stellvertreterkriege geworden.