Gerichtspolitik

/ Haimo L. Handl

Wenn in einem Staat Gesetze gelten wie das berüchtigte gegen mafiotische Umtriebe in Österreich, das sich als Antitierschützervorlage herausstellt, die Polizei- und Gerichtsaktionen ermöglicht, die einer Diktatur würdig sind, in der keine Rechtsstaatlichkeit gilt, dann müssten Anhänger des Rechtsstaates aufhorchen und Änderungen verlangen. Hier hat sich etwas Wesentliches pervertiert. Ein Grundproblem ist die Deutung. Es fällt hierzulande vielen politisch Korrekten leichter, solche willkürlich dehnbare Gesetze in China zu kritisieren, hier aber als vernünftig und rechtlich einwandfrei zu begrüßen.

Ähnliches gilt für den Verhetzungsparagraphen. Seit es möglich ist, die Beleidigung einer Religion bzw. Religionsgemeinschaft ahnden zu lassen, verlagert sich ein Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung von der politischen Bühne auf die der Justiz, die, weil offenbar der politische Raum untauglich geworden ist, Politik ersetzt. Damit geraten die Gerichte, der gesamte Apparat, jedoch in ein Feld, das nicht ihr Primäres ist: sie sprechen nicht nur Recht, sondern immer mehr Politik, weil die Streitgegenstände eben jenen vage, unbestimmten, abstrakten Wertbereich betreffen, den es normalerweise politisch zu deuten gälte, der jetzt mit Richterspruch und Strafen exekutiert wird. Das kann in Extremfällen notwendig und sinnvoll sein. In den meisten Fällen dokumentiert es den politischen Bankrott und die verzweifelte Suche, über das Justizwesen, in einer Art Verfolgungs- und Strafpolitik, gegen Missliebige vorzugehen.

Der seit längerer Zeit nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Union laufende Prozess entspricht aber auch einem gewandelten Täter-Opfer-Verständnis, das in dem instrumentalisierten Opferkult besondere Blüten treibt, man denke nur an das enorm gewachsene Missbrauchsgeschehen, das sich so hysterisch entwickelt hat, dass jemand, der von sich behauptet, kein Opfer zu sein, fast schon in den Verdacht gerät Täter zu sein, weil die reduzierte Sicht nur noch die beiden Dimensionen kennt, nach denen rigide ge- und verurteilt werden kann.

Die Deutung der Religionsfreiheit wird von vielen auch so ausgelegt, dass sie die Errichtung von Sakralbauten erlauben MUSS. Die „Minarette-Affären“ sind nicht nur bei uns ein Thema; die Schweiz wurde wegen einiger Volksentscheide gegen den Moscheenbau in einigen Gemeinden heftig angegriffen und gilt bei vielen als höchst intolerantes, faschistisches Land. Aber die Religionsfreiheit, die so leicht gestört werden kann, ist auch in Gefahr, wenn Kunst ausgestellt wird, die gewisse arme Seelen erschüttert und in ihren religiösen Gefühlen beleidigt. Also wird wieder eine Art von Zensur eingeführt, um den „Frieden zu wahren“, um niemanden zu beleidigen. In Deutschland und Großbritannien floriert diese Auseinandersetzung etwas heftiger als bei uns. Doch auch hier werden wir bald Abhängungen ungenehmer Exponate erleben, das Absetzen oder erst gar nicht öffentliche Aufführen gewisser Filme, das Reinigen von öffentlichen Bibliotheken usw.

Es sind nicht nur die Moslems oder Islamisten. Viele Vertreter des Judentums beklagen einen gewachsenen Antisemitismus und verlangen schärferes Vorgehen. Das ist verständlich, führt aber, wie bei ähnlichen Vorgangsweisen von Islamisten oder Moslems, leicht in einen Missbrauch, weil die Deutungshoheit, was Antisemitismus ist, bzw. ab wann er nach drastischen Gegenreaktionen ruft, von ihnen selbst beansprucht wird. Im profanen, säkularen Rechtsstaat gelten jedoch Rechtsgrundsätze unabhängig der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Ethnie oder Religion. Aber allein schon die Gender Politic zeigt, wie leicht ein ursprünglich positives Vorhaben sich negativ entwickeln kann, wenn man es „formalisiert“, so dass es zur Gesinnungsfrage wird, die oft in einen Gesinnungsterror führt bzw. rationale Entscheidungen einschränkt, z. B. in der Personalpolitik, weil die Quote gelten muss. Dramatischer wirkt sich die Gender Politic in der Wissenschaft aus, wo wir Gefahr laufen, bald die durch die Verfassung verbürgte Freiheit der Lehre zu verlieren, sobald primär Gender-Kategorien gelten, und nicht sachliche (bei den Nationalsozialisten führte das auch im naturwissenschaftlichen Bereich zu höchst seltsamen Erkenntnissen, die wissenschaftlich nicht haltbar waren, ähnlich wie bei den Kommunisten, man denke nur an die „Arische Physik“ oder den „Lyssenkoismus“.

Dass das Gleichheitsdenken, extrem verstanden, in Terror mündet, hat schon die Französische Revolution bewiesen, und zwar vom grundlegenden Denken her, nicht nur in Maßnahmen einzelner Vertreter wie Robespierre oder Saint-Just. Ein weiteres eindrückliches Beispiel lieferten die Bolschewiki mit ihrer terroristischen Politik zur Schaffung des „Neuen Menschen“. Die Versuche vieler Islamisten bzw. islamischer Staaten entsprechen diesem Muster.

Anfang 2012 stand in der niederösterreichischen Gemeinde Gföhl die Errichtung eines Stupa, eines buddhistischen Sakralbaus, zur Debatte. Als ich damals davon hörte, war ich erfreut über die Offenheit der Gemeinde und hoffte, die Gemeindebürgerinnen und Bürger würden der Empfehlung des Bürgermeisters zur Errichtung der Anlage folgen. Aber es gab sofort Widerstand, ähnlich wie beim versuchten Bau von Moscheen, besonders von religiösen Organisationen und Scharfmachern. Den Ausweg suchte die Gemeinde in einer Bürgerbefragung, an der 67% der Gemeindebürger teilnahmen und mehrheitlich deutlich ablehnten.

Nicht nur nebulose Organisationen hatten ein Flugblatt, ein wüstes Pamphlet gegen den Stupa, gegen die buddhistische Gemeinde bzw. Religion insgesamt, mitunterzeichnet. Schon im Vorfeld zeigte sich der St. Pöltener Diözesanbischof Küng in einem Zeitungsinterview erstaunt, warum gerade in einem niederösterreichischen Dorf, wo kaum Buddhisten leben, so ein Tempel errichtet werden solle.

Nun, nach fast zwei Jahren, gab es ein gerichtliches Nachspiel. Der Gründer der „Christen“-Partei, Alfons Adam, wurde als Mitunterzeichner dieses besagten Pamphlets nicht nur der Diffamierung beschuldigt, sondern der Verhetzung und zu einer empfindlichen Geldstrafe von über 5.000 Euro verurteilt worden.

Im Flugblatt stehen zwar auch hahnebüchene Aussagen über den Buddhismus tibetischer Art, aber etliche Textstellen sind aus Publikationen, die unbeanstandet in der Öffentlichkeit kursieren. Nun, in der Öffentlichkeit gibt es auch die Argumente der Chinesen, wie sie ihre Regierungen seit der Befreiung und Annexion lancieren, auch wenn sie bei uns geflissentlich ignoriert werden. Das sagt noch nicht viel. Aber es zeigt auf, dass der Befund der Diffamierung und Verhetzung komplex ist. Und das war der springende Punkt: es kam nicht auf die einzelnen Textstellen an, ob wahr oder unwahr, ob gescheit oder dumm, sondern auf das Instrument des Flugblatts, das in der politischen Auseinandersetzung nicht informierte, sondern verhetzte. Das ist natürlich Deutungssache. Ab wann sind auch abstruse Elaborate Verhetzung? Wie lange bleiben sie hinnehmbare Kritik? Wann diffamiert Kritik? Welche Diffamierung ist akzeptabel, welche nicht?

Recht darf keine Frage der Gesinnung, der Sympathie oder Antipathie sein. In Gföhl ging es den Gegnern um das Verhindern des Stupa. Das haben sie erreicht. Jetzt wird gesagt, die Mehrheit habe so abgestimmt aufgrund der Hetzkampagne. Das kann sein. Aber das zeigt ein politisches Problem auf, das der politischen Auseinandersetzung. Hätten die Unterstützer ihrerseits mit ihrer Kampagne Erfolg gehabt, wäre es zum Prozess gekommen?

Man wird die Offenheit der Bevölkerung nicht dadurch steigern, indem man Gegner immer leichter über fragwürdige Paragraphen kriminalisiert, verfolgt und bestraft. Das führt zu Verbitterungen, Erstarrungen, Lagerbildungen. Wer will bewerten, wie vernünftig die Bürgerentscheidungen sind? Wir rüttelten am Kern unserer Verfassung, am geheimen Wahlrecht, das unqualifiziert garantiert ist. Wir kämen in eine Lage der qualitativen Bedingungen und Abstufungen: du bist ungebildet, bist der Hetzkampagne auf den Leim gegangen etc. Wir akzeptieren diesen Bürgerentscheid nicht. Sagt man, gewisse Befragungen seien Maskerade, abgefeimtes Manöver, was ja stimmen mag (man denke an gewisse Befragungen der Gemeinde Wien!), folgt daraus, dass man das Instrument abschafft oder seine Ergebnisse negiert? Nein, es verlangt nur nach besserer Politik, damit ihr „Missbrauch“ weniger leicht vonstatten geht. Aber das betrifft das Phänomen der Wahlen insgesamt, der Wahlkämpfe und Kampagnen, der medialen Auseinandersetzung. Würden wir hierin so eilig die Gerichte einschalten, weil hier diffamiert und dort verhetzt wird, wir lähmten unsere Politik noch stärker – und müssten uns nicht wundern über die dann einsetzenden Negativa.